Deiner Seele Grab: Kommissar Dühnforts sechster Fall (Ein Kommissar-Dühnfort-Krimi) (German Edition)
folgen einer Spur. Mehr kann ich derzeit nicht sagen. Es mag Ihnen seltsam vorkommen, aber haben Sie ein Foto von Ihrer Schwägerin, das Sie mir geben könnten?«
»Von Judith? Warum denn?«
»Ich muss nur etwas abklären.«
Was wollte er denn abklären? »Etwa ob Judith in diese … « Sie brachte das Wort Morde nicht über die Lippen. »Ob sie in diese Sache verstrickt ist?«
»Auch Nebensächlichkeiten müssen überprüft werden.«
Und das machte der Chef höchstpersönlich?
Vom gemeinsamen Osteressen gab es Fotos. »Ich muss nachsehen.«
Er folgte ihr an den Schreibtisch, zog dabei den Mantel aus und legte ihn über einen Stuhl. Offenbar wollte er nicht gleich wieder gehen. Sie fand eine Aufnahme. Judith saß neben Achim am Tisch. Was für ein Paar, dachte sie wieder einmal. Er groß und attraktiv. Sie hager und eigentlich hässlich, wie ein verdorrter Baum, auch wenn sie versuchte, mit Make-up und teurer Kleidung das Beste daraus zu machen. Und doch passten sie auf ihre Art perfekt zusammen, bildeten eine Art Symbiose. Wobei ein wenig mehr Gegensätzlichkeit den beiden vermutlich guttun würde. Clara seufzte und druckte das Foto aus. »Reicht das?«
Dühnfort nahm das Bild und betrachtete es. »Sie scheinen Ihre Schwägerin nicht zu mögen.«
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»So wie Sie das Bild angesehen haben, und dann dieser Seufzer.« Er lächelte. »Können Sie mir etwas über die beiden erzählen?«
»Sie glauben, Judith hat etwas damit zu tun? Sie sagten doch, es war dieser Serientäter.«
»Davon gehen wir nach wie vor aus. Wie gesagt, es sind Details zu klären, und es gehört zu unserem Job, dass wir uns einen Eindruck vom familiären Umfeld verschaffen. Wie ist sie denn so?«
Also gut. »Fleißig, ehrgeizig. Ein Organisationstalent. Sie hat über zwanzig Jahre als Sekretärin gearbeitet. Vor drei Jahren wurde sie arbeitslos. Das war etwa zur selben Zeit, als Achim sich selbständig machte. Seither führt sie sein Büro. Sie hat ihm geholfen, seine Firma aufzubauen. Dass es so gut läuft, ist auch ihr Verdienst. Die beiden ergänzen sich perfekt.«
»Aber so richtig warm geworden sind Sie mit ihr nie.«
Er war ein guter Beobachter. »Judith hat mir zu viel negative Energie.«
»Wie meinen Sie das?«
Clara bot ihm Platz an. So wie es aussah, würde das Gespräch noch ein wenig dauern. Sie erklärte ihm Judiths Blick in die Welt, der auch Achims war. »Das Glas ist immer halb leer und nie halb voll. Wer arbeitet, wird ausgebeutet, während die Reichen den Staat abzocken. Die wahre Macht im Staat sind die Lobbyisten, und Arbeitslose sind Schmarotzer. Demzufolge gehören Achim und Judith natürlich immer zu den Betrogenen, Ausgebeuteten, Abgezockten. Immer sind alle gegen sie. Jemand lässt die Tür vor Judiths Nase zufallen. Das ist nicht Gedankenlosigkeit, sondern gegen sie persönlich gerichtet. Die neuen Nachbarn laden sie zum Essen ein. Das ist keine nette Geste, sondern der Versuch, Achims Wissen über profitable Geldanlagen gratis abzugreifen. Sie bekommt einen Brief von einer alten Schulfreundin. Auch das ist kein Grund zur Freude, denn die sucht garantiert nur ein kostenloses Quartier, wenn sie mal in der Stadt ist. Judith hat einfach ein unsagbares Talent dafür, die Dinge so zu verdrehen, dass sie gegen sie gerichtet sind. So gesehen ist es nur konsequent, dass sie alles, was ihr tatsächlich an Ungerechtigkeit oder Gedankenlosigkeit widerfährt, wie unter einem Mikroskop betrachtet. Sie macht solche Ereignisse riesengroß. Sie fühlt sich von allen missachtet und schikaniert. Vermutlich, weil sie einfach nicht in der Lage ist, sich selbst zu mögen. So auch, als sie ihren Job verlor. Das war sagenhaft.«
Clara merkte, dass sie sich in Rage redete, doch sie konnte sich nicht bremsen. »Judith erzählt in aller Seelenruhe, wie sie zwei Kolleginnen systematisch gemobbt hat, natürlich weil beide sich gegen sie verschworen hatten, es war also ihr gutes Recht, sich zu wehren. Doch dass man ihr deswegen kündigte, ist eine schreiende Ungerechtigkeit. Eine gigantische Verschwörung gegen sie, in die auch Richter verstrickt sind. Denn natürlich ist sie vors Arbeitsgericht gezogen. Erfolglos. Und mein Bruder ist da leider nicht besser. Anstatt Judith runterzuholen, wenn sie sich wieder einmal in etwas hineinsteigert, bringt er sie erst recht auf Touren. Und umgekehrt. Als er seine Stelle verlor, war das nicht anders. Alle haben sich gegen Achim und Judith verschworen. Die beiden
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