Deiner Seele Grab: Kommissar Dühnforts sechster Fall (Ein Kommissar-Dühnfort-Krimi) (German Edition)
schaukeln sich gegenseitig hoch. Wie gesagt, mir ist das zu viel an negativer Energie. Ich kann das nicht leiden.«
Dühnfort betrachtete das Foto. »Ist Ihr Bruder auch so nachtragend? Kann er eine einmal zugefügte Kränkung nicht vergessen oder verzeihen?«
Warum fragte er all das? Es tat ihr bereits leid, dass sie sich so über Judith ausgelassen hatte. Sie gehörte zur Familie. Es war nicht fair, derart über sie zu lästern. Sie konnte nicht sagen, was sie dachte: Er stilisiert sich nun mal gerne als Opfer. Das war schon immer so, und es ist auch leichter so. Wenn man andere verantwortlich macht, muss man sich die eigenen Fehler und das eigene Versagen nicht eingestehen. Dann sind die Eltern schuld, die einen nicht genug geliebt und gefördert haben. Dann sind die Kollegen schuld, die Intrigen spinnen. Die kleine Schwester, weil der Vater sie liebt und bevorzugt, während man sich selbst von ihm nur wie Dreck behandelt fühlt. Der ungeliebte Sohn. Das missachtete Kind. Dabei ist er fünfzig Jahre alt. Langsam konnte er mal erwachsen werden.
Abwartend sah Dühnfort sie an.
»Sagen wir so: Er hat damit ein Problem.«
»Der Lehrer, der dafür sorgte, dass er kurz vor dem Abi von der Schule flog und alle Pläne begraben konnte: Hat Achim ihm verziehen, oder trägt er ihm das heute noch nach?« Fragend sah Dühnfort sie an.
Clara war verblüfft, dass er diese alte Geschichte kannte. Das war eine Ewigkeit her. So lange, dass ihr der Name des Lehrers nicht einfiel. »Achim nimmt ihm das bis heute übel. Dabei hätte er sein Abi natürlich auf einer anderen Schule nachholen können.«
Dühnfort schob das Bild von Judith in die Jackentasche und stand auf. »Danke für den Einblick.«
Nachdem er gegangen war, fühlte Clara sich schäbig. Warum hatte sie sich so aus der Reserve locken lassen? Diese Gedanken zu Judith und Achim hatte sie bisher für sich behalten. Sie würden nur zu Streit und noch mehr Verletzungen führen. Ach, Achim! So lange sie denken konnte, hatte er sich als Opfer gesehen. Welch süßer Schmerz, welch große Lust. Clara zuckte bei dieser Überlegung zusammen. Sie war bösartig, doch es steckte Wahrheit darin. Achim genoss diese Art zu leiden auf merkwürdige Weise.
76
Nach dem Gespräch mit Clara Lenz war Dühnfort sicher. Achim Kubisch war ihr Mann. Die katastrophalen finanziellen Verhältnisse waren das Motiv. Er brauchte das Erbe. Da er sich missachtet und erniedrigt fühlte, war es ihm vermutlich leichtgefallen, diese Taten vor sich selbst zu rechtfertigen. Wenn man ständig von aller Welt mit Füßen getreten wird, tritt man irgendwann zurück. Welch bizarre und verquere Gedankenwelt.
Die Alibis mussten geknackt werden. Zeitlich dürfte es kein Problem gewesen sein, das Handy in Starnberg zu lassen, vielleicht bei Jenne oder irgendwo gut eingepackt und versteckt im Gebüsch. Drei Stunden Zeit, um nach München zu fahren, seine Schwester und seinen Vater zu töten und zurückzukehren, um das Handy zu holen. Im Fall Brettschneider war es den ganzen Tag ausgeschaltet gewesen. Angeblich wegen des Seminars. Judith musste damit an die Raststätte gefahren sein, wo sie es einschaltete, tankte und auch noch im Restaurant einen Speisenbeleg besorgte.
Er bat Kirsten, sich an der Raststelle zu erkundigen, ob sich jemand an Judith Kubisch erinnerte, und die Bänder der Videoüberwachung sicherzustellen, falls es eine gab. Er selbst würde jetzt mit Jenne sprechen. Von der Tagung aus Salzburg sollte er zurück sein. Sicherheitshalber rief er an. Jenne meldete sich. Dühnfort legte auf. Keine Vorwarnung. Seine Frau hatte ihn als Warmduscher bezeichnet. Hoffentlich erwies sich diese Einschätzung als richtig. Dühnfort verließ das Präsidium und fuhr zum zweiten Mal an diesem Tag nach Starnberg. Als er am Luise-Kiesselbach-Platz auf die Autobahn einbog, rief er Gina an, um ihr zu sagen, dass es bei ihm spät wurde.
»Schade. Wir sehen uns kaum noch. Schon komisch, jetzt, da wir endlich zusammenwohnen.«
Er dachte an die Nacht, in der sie seine Arschrettung gefeiert hatten, und musste lächeln. »Aber wenn, dann dafür umso intensiver.« Eine kleine Brandungswelle spülte Sehnsucht nach ihr an. Wie gerne hätte er sie jetzt in den Arm genommen.
»Kann man so sagen.« Er hörte das Lächeln in ihrer Stimme. »Wie geht es eigentlich Georges? Hast du was von Rita gehört?«
»Ich habe ganz vergessen, sie anzurufen.«
»Ich gehe mal rüber«, schlug Gina vor. »Vielleicht braucht sie jemanden,
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