Deiner Seele Grab: Kommissar Dühnforts sechster Fall (Ein Kommissar-Dühnfort-Krimi) (German Edition)
weiß Bescheid, und die Weidenbach ist auf dem Weg.«
Dühnfort informierte Alois und bat ihn, Kirsten Bescheid zu sagen. Gina zahlte inzwischen. Gemeinsam eilten sie zum Präsidium zurück. Vor dem Portal gab Dühnfort ihr rasch einen Kuss. »Bis heute Abend.«
»Ja. Bis heute Abend.« Sie wandte sich ab, stieg die Stufen hoch und sah sich noch einmal nach ihm um. »Quatsch mache ich eigentlich nie.« Wieder erschien das umwerfende Lächeln. Er liebte sie. In diesem Augenblick wurde ihm bewusst wie sehr. Sie war so ganz anders als er. Während er gerne erdenschwere Gedanken wälzte und eine gewisse Melancholie pflegte, wie Gina das mal formuliert hatte, nahm sie das Leben mit Leichtigkeit und Humor. Wo er stets korrekt war, legte sie Grenzen gerne großzügig aus. Er neigte dazu, nachtragend zu sein, sie verzieh schnell. Sie war das pure Gegenteil von ihm, vielleicht passten sie deshalb so gut zusammen.
Dühnfort ging zu seinem Wagen und fuhr nach Schwabing. Die Nikolaistraße zweigte von der Leopoldstraße ab. Nur etwa zweihundert Meter Luftlinie von der Stelle entfernt, an der im Sommer eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg gesprengt worden war. Tausende Menschen waren evakuiert worden, etliche Häuser in Brand geraten und unzählige Scheiben zu Bruch gegangen. Seither klaffte ein Krater mitten in Schwabing, und die Erinnerungen an den Krieg waren bei den Alten zurückgekehrt. Aber auch er hatte plötzlich eine Ahnung gehabt, wie das damals gewesen war.
Er sah sofort, wohin er musste. Streifenwagen und Notarztwagen standen vor einem Gründerzeithaus mit aufwendig restaurierter Fassade. Edles Grau, die Simse farblich abgesetzt, die Fenstereinfassungen in einem zarten Cremeton. Wer hier wohnte, hatte Geld. Der ganze Straßenzug atmete Wohlstand. Einer der Busse der KTU parkte in der Einfahrt. Buchholz war also schon da. Alois ebenfalls, sein Mini stand dahinter. Ein Taxi stoppte auf der anderen Straßenseite. Dr. Ursula Weidenbach stieg aus. Weit und breit kein Parkplatz in Sicht. Dühnfort hielt auf dem Gehweg und begrüßte die Rechtsmedizinerin, als er mit ihr vor dem Eingang zusammentraf. Er wies sich aus und fragte den Streifenpolizisten, der neben der Haustür postiert war, wohin sie mussten.
»Dritte Etage.«
Es gab einen Lift, den Dühnfort gerne genommen hätte. Doch die Ärztin steuerte bereits auf die Treppe zu. Vermutlich war Treppensteigen ein Teil des täglichen Fitnessprogramms zahlreicher Frauen. Eigentlich keine schlechte Idee. Das Laufen neulich hatte ihm gutgetan. Wieder einmal fasste er den Vorsatz, mehr für seine Gesundheit zu tun, und nahm die knarrenden Stufen. Im zweiten Stock kamen ihnen der Notarzt und zwei Rettungssanitäter entgegen. »Sind Sie der zuständige Ermittler?«
Dühnfort bestätigte das.
»Die Frau wurde erstickt, wenn Sie mich fragen. Wir müssen weiter. Neuer Einsatz. Falls Sie mich brauchen, fragen Sie nach Andreas Mücke.«
Das Funkgerät krächzte. Gefolgt von seinen Leuten spurtete der Arzt die Stufen hinab. Polternde Schritte hallten durchs Treppenhaus.
Ein wenig außer Atem kam Dühnfort oben an. Die Wohnungstür stand offen. Auf dem Messingschild stand der Name der Bewohnerin. Emily Dreher.
18
Noch vor der Tür schlüpfte Dühnfort in den Einwegoverall und zog Überschuhe und Latexhandschuhe an. Genau wie die Rechtsmedizinerin, die ihm in die Wohnung folgte.
Die Tür zum Wohnzimmer linker Hand stand offen. Ein Rollstuhl lag umgekippt auf dem Boden. Der Teppich war verrutscht und warf Falten. Buchholz erschien im Blickfeld und wies den Flur hinunter. »Sie ist im Schlafzimmer.«
Rechter Hand befanden sich Bad und Küche. Eine ältere Frau saß weinend am Tisch. Ihr gegenüber eine Streifenpolizistin, die beruhigend auf sie einredete.
Am Ende des Flurs lag das Schlafzimmer. Dühnfort trat ein. Weiße Schleiflackmöbel mit zahllosen Zierleisten. Der Schrank nahm eine ganze Wand ein. Über der Kommode glänzte ein Spiegel im vergoldeten Rahmen. Das Fenster lag hinter einem dunkelblauen Vorhang verborgen. Der flirrende Oktobertag war ausgesperrt. Alle Lichter brannten. Sowohl die Deckenlampe mit ihren funkelnden Kristallen als auch beide Nachttischlämpchen. Eine beinahe feierliche Atmosphäre. Die linke Betthälfte war unberührt. In der rechten lag eine alte Frau, sie wirkte klein und zerbrechlich wie ein Vogel. Ihre Augen waren geschlossen. Ein friedliches Bild. Wäre nicht der Unterkiefer heruntergeklappt und die Haut bläulich wächsern
Weitere Kostenlose Bücher