Deiner Seele Grab: Kommissar Dühnforts sechster Fall (Ein Kommissar-Dühnfort-Krimi) (German Edition)
Pestalozzistraße keinen Parkplatz. Er stellte den Wagen auf dem breiten Gehweg ab und legte seine Visitenkarte mit Handynummer hinter die Windschutzscheibe.
In der Wohnung angekommen, schaltete er die Pavoni an und suchte nach dem Buch. Mit Espresso und Lektüre setzte er sich auf den kleinen Balkon vor seiner Küche. Unten auf dem Friedhof war was los. Zwei Penner stritten sich um eine Bank, eine Gruppe Kleinkinder ging, von ihren Erzieherinnen begleitet, Richtung Ausgang, zwei Jogger liefen vorbei und wurden von einer Radlerin überholt. Auf dem Kopf des bröselnden Marmorengels, der am Grab des Musikers stand, landete eine Taube und sah mit schiefem Blick zu Dühnfort hoch. Beinahe vorwurfsvoll. War es dieselbe, die er neulich mit dem Stein getroffen hatte?
Er blätterte durch die Seiten, bis er die Abhandlung über die Bedeutung des Apfels fand, und vertiefte sich in den Artikel. Als er damit fertig war, suchte er nach der Symbolik von Trauben und war anschließend elektrisiert. Er schlug das Buch zu, die Taube flatterte auf. War es das?
Sein Handy vibrierte. Dr. Ursula Weidenbach meldete sich. »Es wird Sie freuen. Ich kann Ihre Tote vorziehen. Ein Leichentransport aus Passau hatte einen Unfall auf der Autobahn. Es wird noch Stunden dauern, bis er hier ist. Kommen Sie selbst?«
»Wann fangen Sie an?«
»In einer Viertelstunde.«
»Bin schon unterwegs.«
Mit dem Buch in der Hand trat er vors Haus und zog den Wagenschlüssel hervor. Doch sein Auto war weg. Er sah den Abschleppwagen gerade noch um die Ecke verschwinden. Verdammter Mist! Er sah sich um. In der offenen Tür des neuen Ladens, in dem Hutkreationen aus Filz und großkalibrige Ketten aus Holz-, Glas- und Keramikperlen angeboten wurden, stand eine stämmige Frau. Sie war in farbenprächtige Gewänder gehüllt, neigte den Kopf mit der schneeweißen Pagenfrisur ein wenig zur Seite und musterte ihn mit einem amüsierten Lächeln.
»Waren Sie das?« Er wies die Straße hinunter.
»Habe ich diese Dreckschleuder hier geparkt? Sie ernten nur die Früchte Ihres asozialen Verhaltens.«
Seines asozialen Verhaltens! »Können Sie lesen? Meine Telefonnummer lag gut sichtbar auf dem Armaturenbrett. Sie hätten mich einfach anrufen können, wenn Sie sich durch mein Fahrzeug behindert gefühlt haben.«
»Nicht ich. Die Kinder aus der Kinderkrippe mussten auf die Straße ausweichen, weil Sie den Gehweg blockiert haben. Nicht auszudenken, was da hätte passieren können. Wenn Sie deswegen jetzt Streit anfangen wollen, dann rufe ich die Polizei.«
Zwischen seinem Fahrzeug und der Hauswand war ein Durchgang von einem Meter Breite gewesen, oder wenigstens achtzig Zentimetern. Gut, das war nicht üppig, aber Platz genug, um vorbeigehen zu können. »Nicht nötig. Mit Leuten Ihres Schlags streite ich mich nicht.«
Zum Institut für Rechtsmedizin in der Nußbaumstraße war es nicht weit. Zehn Minuten zu Fuß. Er wandte sich zum Gehen.
»Was soll das bedeuten? Leute meines Schlags ?«, rief sie ihm nach.
Herrgott! Die Frau suchte Streit. »Besserwisser. Weltverbesserer. Selbsternannte Gutmenschen von selbstgefälliger Intoleranz. Das soll es heißen. Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe!«
21
Über Nacht zog von Westen eine Regenfront heran und bereitete der Sommerverlängerung ein Ende. Als Dühnfort aufstand, hing die Wolkendecke wie ein ausgewrungener Putzlappen über der Stadt, graues Licht sickerte in die Küche. Gina hatte Frühstück gemacht. In der Mikrowelle tauten Croissants auf. Sie stand mit einer Schale Milchkaffee am Fenster. Als sie ihn hörte, drehte sie sich um und gab ihm einen Kuss, der nach Kaffee schmeckte. »Ich muss in fünf Minuten los. Habe ein Date in Lohwies.«
»Ein Date?«
»Mit einem Siebzigjährigen. Der Kollege, der den Fall damals bearbeitet hat, hilft mir bei der Rekonstruktion des vermutlichen Tatablaufs. Da es keine Leiche gab, haben sie das damals nicht gemacht. Ich will sehen, ob es Unklarheiten gibt.«
In der für sie typischen Weise nahm Gina sich eines über zwanzig Jahre alten Falls an, mit dem unbedingten Willen, ihn zu klären und den Eltern nach so vielen Jahren endlich Gewissheit über das Schicksal ihrer Tochter zu geben. Bis heute war die Leiche von Annamaria Buchberger verschollen. Eine junge Frau aus einfachen Verhältnissen, heimliche Geliebte eines vermögenden und verheirateten Unternehmers. Jeder im Dorf glaubte zu wissen, dass er sie getötet hatte, weil sie von ihm schwanger war und er nicht zahlen wollte,
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