Deiner Seele Grab: Kommissar Dühnforts sechster Fall (Ein Kommissar-Dühnfort-Krimi) (German Edition)
Tür zum Vernehmungsraum stand ja wohl offen.«
Noch ein Retter. Dühnfort war gerührt. Gina, Heigl, Russo. Alle drei setzten sich für Recht und Gesetz ein, und alle drei glaubten nicht, dass die Wahrheit am Ende bestehen würde. Vielleicht sahen sie das ja realistischer als er. »Danke, Moritz. Doch diese Geschichte wird sich auch so klären lassen.«
Im Büro angekommen, schaltete er erst den PC an und dann die Pavoni, damit sie für den Espresso nach der Teambesprechung aufgeheizt war. Bis dahin schrieb er eine Mail an Thorsten Brüggemann, den er als Anwalt schätzen gelernt hatte. Brüggemann vertrat seine Mandanten ruhig und kompetent und griff selten in die Trickkiste. Er schilderte kurz, worum es ging, und fragte, ob er das Mandat übernehmen wollte.
Dann sah er die Ablage durch und schließlich die Tageszeitungen. Dem Mord an Emily Dreher wurde kaum Beachtung geschenkt. Eine kurze Notiz. Das war alles. Unwillkürlich fragte er sich, ob es so etwas wie Altersdiskriminierung gab. Verbrechen, deren Opfer junge, attraktive Menschen waren oder gar Kinder, wurden von den Medien regelrecht zelebriert. Seitenlange Artikel, großformatige Bilder, emotionale Stellungnahmen von Freunden und Nachbarn. Das Privatleben wurde ausgeleuchtet und nichts unbeachtet gelassen, um die Grausamkeit des Verbrechens zu zeigen und die Ungeheuerlichkeit einer Tat, mit der ein junges Leben jäh beendet worden war. Es war nicht weniger ungeheuerlich, das Leben eines alten Menschen auszulöschen, doch es interessierte keinen. Fünf Zeilen. Mehr Aufmerksamkeit wurde Emily Dreher nicht zuteil.
Vielleicht war das schon vorher so gewesen. Wenn sie ein Lokal betreten hatte oder einen Laden, drehte sich niemand nach ihr um, hob sich kein Kopf, traf sie kein interessierter Blick. Es war ihm schon häufig aufgefallen, wie wenig Beachtung die Alten fanden. Man sah durch sie hindurch, nahm sie nicht wahr, als ob es sie nicht gäbe.
22
Kirsten und Alois waren schon da und unterhielten sich. Buchholz saß an seinem Platz und blätterte in Unterlagen. Sophie Dreher, die Hauptsachbearbeiterin, kam in den Besprechungsraum. Ihr auf dem Fuß folgte Dr. Ursula Weidenbach. Suchend sah sie sich um und steckte den tropfenden Schirm kurzerhand in einen Papierkorb, als sie keinen Schirmständer entdeckte. »Guten Morgen.« Den Mantel legte sie über die Lehne eines freien Stuhls und setzte sich.
Dühnfort wünschte ihr ebenfalls einen guten Morgen und begrüßte das Team. Das Raunen verebbte. Stühle wurden gerutscht. »Gut, fangen wir an. Warum musste Emily Dreher sterben? Was ist das Motiv für diese Tat gewesen? Raubmord scheidet aus. Nichts wurde gestohlen. Keine Pflegekraft in Sicht, die derart überfordert gewesen wäre, dass sie zu diesem radikalen Mittel gegriffen hätte. Emily war zwar krank, doch kein Pflegefall. An guten Tagen kam sie alleine zurecht, an den schlechteren wurde sie von ihrer Tochter unterstützt. Und es gibt keine Hinweise auf ein Sexualdelikt. Daher bleiben nur persönliche Motive, wie Rache und Hass oder Gier. Wissen wir schon, wer sie beerbt?«
Alois steckte das Handy weg, auf dem er eben noch eine SMS geschrieben hatte. »Als Erben sind Sohn und Tochter eingesetzt. Auf den ersten Blick scheinen beide in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen zu leben. Soll ich mir das genauer ansehen?«
»Ja, mach das.« Dühnfort stand auf und stellte sich an die Wand mit den Tatortfotos. Mit dem Laserpointer umkreiste er auf einer Aufnahme die Hände der Toten. »Ich habe eine Vermutung, was das zu bedeuten hat. In der Kunst gilt der Apfel als Chiffre für den Fall des Menschen, aber auch seiner Erlösung. Aus Trauben wird Wein gekeltert, deshalb sind sie Symbol für die Eucharistie und damit ebenfalls der Erlösung.« Dühnfort sah in die Runde. Alle schwiegen. »Jemand hat Emily erlöst. Allerdings ist mir schleierhaft wovon, denn sie war nicht schwerkrank. Jedenfalls sagt das die Tochter, und die Obduktion hat das bestätigt.« Dühnfort suchte Ursula Weidenbachs Blick. »Oder haben Sie doch noch etwas entdeckt?«
»Die alte Dame war für ihr hohes Alter in guter Verfassung. Außer Rheuma und einer leichten Herzinsuffizienz keine chronischen Erkrankungen. Das Herz war entsprechend vergrößert. Todesursache ist, wie wir schon vermutet haben, Ersticken mit einer weichen Bedeckung. In Mund- und Nasenhöhle haben wir orangefarbene Stofffasern gefunden, ebenso in der Lunge. Sie sind durch das Ringen nach Luft dorthin gelangt und
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