Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)
für Kinderschänder«. An manchen Straßenlaternen hängen drei oder vier Plakate übereinander.
Daniel V. wird zur Person befragt. Mit leiser, fast mädchenhafter Stimme gibt er Auskunft, spricht bedächtig, fast verlangsamt.
Dann wird die Anklage verlesen. Danach hat der junge Mann die Achtjährige auf ihrem Heimweg am 18. August 2008 gegen 15:20 Uhr in der Leipziger Lipsiusstraße angesprochen, weil er ihr etwas für ihre Mutter mitgeben wolle. Da das Mädchen ihn flüchtig aus der Nachbarschaft kannte, folgte sie ihm in seine Wohnung, ohne Verdacht zu schöpfen. Der zur Tatzeit 18-Jährige wusste, dass er ungestört sein würde. Seine Mutter war auf Arbeit.
Als er Michelle den Mund mit Klebeband zukleben wollte, wurde das Kind misstrauisch und versuchte zu fliehen. Ihr späterer Mörder hinderte sie jedoch daran. Anschließend quälte er sie grausam, flößte ihr mit Gewalt Alkohol ein und missbrauchte das Mädchen sexuell. Weil er fürchten musste, dass Michelle ihn verraten könnte, erwürgte Daniel V. die Achtjährige und versteckte ihre Leiche dann in einer Abstellkammer, eine halbe Treppe unterhalb der Wohnung. Spätestens am Morgen des 21. Augusts muss er den leblosen Körper in den Teich im Stötteritzer Wäldchen geworfen haben, so der Staatsanwalt Klaus-Dieter Müller.
Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft plante Daniel V. die Tat von langer Hand. Er wollte Michelle sexuell missbrauchen. »Das Kind kannte den Angeklagten und folgte ihm arglos in die Wohnung«, so der Staatsanwalt. Daniel V. hört mit ängstlichem Gesicht zu. Die Arme hat er dabei vor der Brust verschränkt.
Nachdem die Anklage verlesen ist, erklärt der Angeklagte mit zittriger Stimme, dass er sich bei Michelles Familie entschuldigen wolle, weil er ihr Schaden zugefügt habe. Außerdem tue es ihm leid, dass er nicht die Kraft aufgebracht habe, sich früher zu stellen und dass er die Menschen in Leipzig so lange geängstigt habe.
Nun soll Daniel V. aussagen. Sein Verteidiger beantragt den Ausschluss der Öffentlichkeit, da bei der Vernehmung seines Mandanten auch Details aus dessen Intimbereich zur Sprache kämen. Weil der Angeklagte erst 19 Jahre alt ist und somit eine Jugendstrafkammer über ihn zu Gericht sitzt; und um seine Persönlichkeitsrechte nicht zu verletzen, gibt der Vorsitzende Richter dem Antrag statt. Der »Heranwachsende« habe schutzwürdige Interessen.
Der große Schwurgerichtssaal fasst 95 Plätze. Davon sind 55 für die anwesenden Journalisten und 40 für weitere Besucher reserviert. Diese verlassen nun den Saal.
Daniel V. spricht nicht selbst. Sein Anwalt, Malte H., liest eine Erklärung seines Mandanten vor, in der dieser sämtliche Anklagepunkte einräumt. Daniel V. bestreitet laut der verlesenen Erklärung jedoch nach wie vor, dass er von Anfang an einen Mordvorsatz gehabt habe. Fragen beantwortet er nicht. Wesentliche Details aus seinem »Intimleben« – wir vorab vom Anwalt angekündigt – kommen jedoch in der Erklärung gar nicht zur Sprache. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, der Verteidiger habe deshalb die Öffentlichkeit ausschließen lassen, damit Presse und Zuschauer nichts über die Brutalität erfahren, mit der Daniel V. die kleine Michelle misshandelt hat, bevor er sie schließlich tötete. Ob das, was der Anwalt da verliest, tatsächlich dem Geschehen in Daniel V.s Wohnung entspricht, ist fraglich. Eine andere, ausführlichere Schilderung hätte jedoch – so glauben es manche Prozessbeobachter – dazu führen können, dass V. als weit gefährlicher und womöglich auch als psychisch krank eingestuft werden könnte. Und das will der Verteidiger mit aller Macht verhindern.
Es dauert nicht lange, schon nach einer halben Stunde werden Publikum und Presse wieder in den Saal gelassen.
Vor Gericht und auch in den Verfahrenspausen lässt der Verteidiger seine Strategie offensichtlich werden. Daniel V.s Anwalt ist erfahren, er hat bereits den Mörder des kleinen Mitja im August 2007 vor Gericht verteidigt.
Er beschreibt seinen Mandanten als »zurückgebliebenen, unreifen Teenager«, der noch »bemuttert« werden müsse. Er sei ungewollt gewesen und als vaterlos aufgewachsenem Kind habe ihm zudem das männliche Element in der Erziehung gefehlt. Da über Sexualität in dem Frauenhaushalt nie gesprochen wurde, habe sich sein Mandant damit nicht auseinander setzen können.
Nach Darstellung des Anwaltes hat Daniel V. »erhebliche Reifedefizite«. In der Schule sei er oft gehänselt worden,
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