Demudis
dafür, ich Narr! Ich muss mich bessern!
*
Köln, Palast des Erzbischofs,
am Vormittag des 10.2.1327
Es herrschte peinvolle Stille. Wilhelm schaute von einem versteinerten Gesicht zum nächsten. Warum um alles in der Welt hat uns der ehrwürdige Vater und Herr Erzbischof zu genau der Stunde einbestellt, zu welcher er die Sonntagsmesse zu Ehren der heiligen Austreburta im Dom liest?, dachte Wilhelm. Er wähnte den alten Mann von allen guten Geistern verlassen. Oder will er uns leiden lassen? Ich denke nicht demütig, tadelte sich Wilhelm, es ist eine Prüfung unserer Standhaftigkeit im Angesicht des Bösen. Es fiel ihm immer noch schwer, Meister Eckhart als Verkörperung des Bösen zu sehen. Aber Bruder Hermann hatte zu ihm gesagt, er, Wilhelm, müsse sprechen, wenn Bruder Hermann dazu aufgefordert werde, weil Wilhelm den überlegeneren Geist besitze. Das hatte Bruder Hermann wahrhaftig über ihn gesagt! Wilhelm ruckelte unruhig auf dem Stuhl. Er war aufgeregt. Er musste seine Aufgabe gut erledigen. Das war er Bruder Hermann schuldig!
Bruder Hermann saß seelenruhig neben ihm. Er schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein. Von ihm aus linker Hand saßen die amtlichen Ankläger, die Barfüßer Bruder Dirolf von Michelsberg und Bruder Agelomus von Luxenil. Soweit er verstanden hatte, würde der dicke Bruder Dirolf, den Bruder Hermann herzlich und mit Dank begrüßt hatte, das Wort führen. Er vertrat dem Vernehmen nach seinen Abt Hanß, der nicht in Köln weilte. Gegenüber saßen Meister Eckhart, in dessen gramverzerrtes Gesicht Wilhelm nicht zu schauen vermochte, und sein Verteidiger Bruder Nikolaus von Straßburg. Bruder Nikolaus war vom Heiligen Vater in Avignon vor ein paar Monaten eigentlich gesandt worden, um den Verdacht auf Ketzerei des Meister Eckharts zu untersuchen, der von Erzbischof Heinrich gemeldet worden war. Damit hatte er sich verrechnet, denn Bruder Nikolaus war ebenfalls Prediger und Meister Eckhart treu ergeben. Wenn der Meister ein Ketzer war, so auch Bruder Nikolaus! Der Thron an der Stirnseite des Raumes war leer. Ihn würde der Erzbischof besteigen.
Als der Erzbischof Heinrich II. von Virneburg schließlich erschien, machte er einen gehetzten Eindruck. Flüchtig ließ er sich küssen. Wilhelm sah, wie Bruder Nikolaus zurückzuckte, dann aber doch die geforderte Ehrerbietung walten ließ. Meister Eckhart überging der Erzbischof bei der Begrüßung. Hätte jener diesen geküsst?, überlegte Wilhelm. Kaum saß der Erzbischof auf dem Throne, fielen ihm die Augenlider so weit zu, dass man denken konnte, er schliefe. Er sagte nichts.
Schließlich begann Bruder Dirolf. »Ehrwürdiger Vater und Herr Erzbischof, wir sitzen hier heute zu Gericht über Johannes Eckhart, genannt ›Meister‹. Die Anklage lautet auf Ketzerei. Wir, die wir nicht würdig sind, Euch die Schnüre der Schuhe zu lösen, haben Euch, ehrwürdiger Vater und Herr Erzbischof, eine umfangreiche Liste mit all jenen Stellen aus den lateinischen und diutischen Schriften sowie aus den überlieferten Predigten des vorgenannten Predigers erstellt und übergeben, die zweifelsfrei den ketzerischen Geist belegen, der diesen Mann beherrscht. Bruder Hermann von den Predigern wird zusammenfassen.«
»Wir möchten die Ehre gern an Bruder Wilhelmus weiterreichen, der sich auf die theologische Argumentation vorbereitet hat.« Bruder Hermann deutete mit beiden Händen großzügig in Wilhelms Richtung.
Wilhelm erhob sich. Er holte tief Luft und begann: »Mit unermesslichem Schmerze müssen wir feststellen, dass ein Bruder aus dem Orden der Prediger, Eckhart mit Namen und Magister der Heiligen Schrift, mehr wissen will, als nötig ist, und dass er nicht entsprechend der Besonnenheit und nach der Richtschnur des Glaubens verfährt. Er hat sein Ohr von der Wahrheit abgekehrt und sich Erdichtungen zugewandt. Verführt nämlich wurde er durch den Vater der Lüge, der sich oft zum Scheine in den Engel des Lichtes verwandelt, um das finstere und hässliche Dunkel der Sinne statt des Lichtes der Wahrheit zu verbreiten. So hat dieser irregeleitete Mensch, der besagte Meister Eckhart nämlich, gegen die hell leuchtende Wahrheit des Glaubens auf dem Acker der Kirche Dornen und Unkraut hervorgebracht und ist weiterhin emsig beflissen, schädliche Disteln und giftige Dornensträucher zu erzeugen. Zahlreich sind seine Lehrsätze, die den wahren Glauben in vieler Herzen vernebeln …«
Wilhelm hatte sich so richtig in Wallung geredet, als
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