Demudis
ihn ein Donnerschlag zusammenzucken ließ. Bruder Nikolaus hatte mit der Faust gegen das schwere Holzbein des Stuhles geschlagen, auf dem er saß. Wilhelm sah durch seine angstgeweiteten Augen, wie sich Bruder Nikolaus, eine gewaltige und ehrfurchtgebietende Gestalt, langsam erhob.
»Ehrwürdiger Vater und Herr Erzbischof Heinrich«, polterte Bruder Nikolaus, und Wilhelm bemerkte, dass auch der Erzbischof jetzt die Augen vollständig geöffnet und seinen Kopf dem Redner zugewandt hatte, »wollt Ihr es dulden, dass dieser üble und gefährliche Bursche, der noch nicht einmal ein Magister der Theologie ist, mit seinen bübischen Reden den weisesten und gelehrtesten Mann, der je nach dem heiligen Thomas von Aquino die Kirche gelehrt hat, mit Unflat bewirft?«
Die Beine von Wilhelm gaben nach, und er plumpste auf sein glücklicherweise gut gepolstertes Gesäß.
»Wir sehen nicht, warum er seine gerechte Anklage nicht vorbringen sollte«, entschied der Erzbischof kurz. Wilhelm schöpfte wieder Mut. Bruder Hermann klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.
»Dieses Gericht«, setzte Bruder Nikolaus unbeirrt seine Gegenrede fort, »ist offensichtlich nicht aufgerufen, in dieser Sache zu verhandeln. Bruder Eckhart untersteht einzig dem Gericht des Ordens, das ihn, wenn er denn je gefehlt hätte, mit aller Härte bestrafen würde, und selbstredend dem lieben Vater in Avignon. Da Bruder Eckhart jedoch immer erklärt hat, dass er dem katholischen Glauben treu sein und Gehorsamkeit gegenüber unserem General sowie dem Nachfolger auf Petri Stuhl üben werde, gibt es keinen einzigen Anlass, irgendwelche ketzerischen Regungen bei ihm festzustellen.«
Wilhelm sah, wie die Augen des angeklagten Greises, den er dereinst so geliebt hatte, feucht wurden. Was habe ich nur angerichtet?, dachte Wilhelm. Oder war der Meister nur ein Heuchler, ein Mörder gar?
Bruder Hermann sprang nun ebenfalls erbost auf. »Und den unlauteren Lebenswandel, was habt Ihr darauf zu erwidern, Bru der Nikolaus? Ehrwürdiger Vater und Herr Erzbischof Heinrich, es steht fest, dass dieser Ketzer da, wie es unter Seinesgleichen gang und gäbe ist, außer falschen Lehren auch einen unkeuschen Umgang pflegt.«
Wilhelm überlegte, warum Bruder Hermann den Mord an dieser Schwester Guta, den der Meister nach Bruder Hermanns Wissen angestiftet hatte, nicht vorbrachte. Dann fiel ihm ein, dass Bruder Hermann ihm gesagt hatte, er wolle damit warten, bis sein Zeuge eingetroffen sei. Außerdem mochten sich die städtischen Schöffen mit Gewalttaten beschäftigen, nicht das Gericht der Inquisition.
»Zügelt Euch, Bruder Hermann«, forderte der Erzbischof scharf. »Da die Zuständigkeit des Gerichts in Frage gestellt worden ist, werden wir darüber nachdenken müssen. Aber zweifle niemand daran, dass wir den Tod der Ketzer wollen. Aller Ketzer. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.«
*
Andernach, am 10.2.1327
Demudis hatte den ganzen restlichen Tag geruht. Richtig Schlaf zu finden, war ihr nicht möglich, weil ihr der beim Sturz gestauchte Fuß schmerzte. Aber sie döste vor sich hin und konnte keinen sinnvollen Gedanken fassen. Am folgenden Morgen, als der Physikus der Barfüßer auf ihren wehen Fuß eine weitere wohltuende Salbe auftrug und ihn mit neuen Bändern umwickelte, beschloss sie allerdings, den Rat des Torwächters Bruder Gerhard zu missachten und ihn doch auf Schwester Guta anzusprechen.
»Sie hat ihm genommen, was er sowieso nicht hätte besitzen dürfen«, sagte der Physikus dunkel. »Aber er hat sie … sie war ihm …«Er suchte offensichtlich nach den angemessenen Worten und sagte dann: »Ach, frage ihn doch selbst, er wollte dich noch sprechen, bevor du aufbrichst.«
Der Physikus verschwand und kehrte kurz darauf mit Abt Paul im Gefolge zurück. Abt Paul blickte zu Boden, aber Demudis sah, dass seine Augen rot gerändert waren.
Der Abt trat auf sie zu und versuchte, ihr einen Beutel zu überreichen. Dabei legte er seine freie Hand auf ihren Unterarm. Demudis zuckte ob der Berührung durch die Mannsperson erschreckt zurück und nahm den Beutel nicht in Empfang. Er fiel zu Boden, und es klingelte. Der Beutel enthielt demnach Münzen.
Abt Paul hob den Beutel mühsam auf und sagte: »Verzeih mir, ich wollte dir nicht zu nahe treten. Nimm dies für euren Konvent und haltet sie, Guta, Schwester Guta, alle Zeit in Ehren. Ich war grob zu dir gestern und möchte mich in jeder erdenklichen Form
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