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Den Löwen Zum Frass

Den Löwen Zum Frass

Titel: Den Löwen Zum Frass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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»Der Empfänger wäre auf das falsche Verhalten eingestellt?« Er antwortete nicht. »Der Menschenfresser wurde vielleicht falsch behandelt. Man stelle sich die Szene vor. Leonidas war daran gewöhnt, in einem kleinen Reisekäfig transportiert zu werden, und er wusste, was ihn am Ende erwartete: die Arena - und Menschen, die er fressen konnte. An dem Abend war er hungrig, das hat mir sein Pfleger erzählt. Als er aus dem Käfig gelassen wurde, hat ihm ein Fremder vielleicht unbewusst das Zeichen gegeben, das den entsprechenden Reflex in ihm auslöste. Normalerweise wirkte er ruhig, sogar freundlich, aber sobald er dachte, dass er angreifen sollte, hat er sich vermutlich auf jeden gestürzt, den er sah - und ihn vielleicht sogar getötet.«
    »Als er angriff, sind die Leute bestimmt in Panik geraten«, sagte Helena.
    »Jeder, der bewaffnet war«, fuhr ich fort, »würde versucht haben, den Löwen zu töten. Zum Beispiel ein Gladiator.«
    Endlich machte Saturninus eine kleine Geste mit der Hand. Sie bedeutete nur, dass er meine Ausführung für möglich hielt, aber nicht, dass er zugegen gewesen war, als es passierte. Das würde er nie zugeben.
    Ich wusste immer noch nicht, warum Leonidas in jener Nacht aus dem Käfig geholt worden war, wohin er gebracht wurde oder wer unterwegs und bei seinem gewaltsamen Tod bei ihm gewesen war. Aber ich war überzeugt davon, dass ich gerade herausgefunden hatte, wie er gestorben war.
    Spielte das eine Rolle?
    Ich drehte einen Weintraubenstängel in den Fingern, der sich in dem üppig mit Fransen besetzten Überwurf meiner Speiseliege verfangen hatte. War meine Anteilnahme exzentrisch? War meine Besessenheit von Leonidas ungesund und sinnlos? Oder hatte ich Recht, und das Schicksal des edlen Tieres sollte für einen zivilisierten Menschen dieselbe Wichtigkeit haben wie der unerklärliche Tod eines Mitmenschen? Als Saturninus gesagt hatte, dass es gefährlich gewesen sei, einen Menschenfresser an Stelle eines undressierten Löwen zu schicken, war seine Stimme einen Moment lang nicht mehr ruhig geblieben. Erinnerte er sich an die Tötung? Und wenn er dabei gewesen war, hatte er auf irgendeine Weise die ganze unheilvolle Farce zu verantworten? Er hatte bereits behauptet, er und Euphrasia hätten an jenem Abend mit dem Exprätor Urtica gespeist. Ich hielt Saturninus für einen Mann, der wusste, dass die besten Lügen nahe bei der Wahrheit bleiben sollten. Und Wahrheit konnte bedeuten, dass Satur-
    ninus nicht nur ein solides Alibi besaß, sondern auch etwas viel Schlimmeres - dass der arme Leonidas ebenfalls Gast des Prätors gewesen war.
    Pomponius Urtica hatte eine neue, »ungestüme« Freundin. Vielleicht wollte er sie beeindrucken. Er liebte den Circus und hatte enge Verbindungen zu den Lanistae. Saturninus schien Urtica als eine Kontaktperson mit nützlichem Einfluss zu halten. Der Status des Mannes konnte sich jedoch in nichts auflösen. Wenn er sein Haus für ein solches Privatvergnügen benutzt hatte, war er erpressbar. Sollte bekannt werden, dass er einen Mord als häusliche Unterhaltung in Auftrag gegeben hatte, war er politisch erledigt.
    Saturninus würde ihn natürlich decken. Das konnte die Erklärung sein. Als Erstes war er dem Mann gefällig gewesen und hatte heimlich eine Art Kampf arrangiert. Dann, als die Sache schief ging, hatte Saturninus unerschrocken das Beste daraus gemacht. Wenn er den Ruf des Magistrats rettete, hätte er einen Patron gewonnen, der permanent in seiner Schuld stand.
    Allmählich begriff ich. Ein Aspekt sprang mir sofort ins Auge. Jeder, der drohte, die Beteiligten bloßzustellen, begab sich in Gefahr. Urtica war politisch ein mächtiger Mann. Saturninus besaß eine Gruppe trainierter Mörder. Und er war Gladiator gewesen. Wenn man ihm krumm kam, würde er sich selbst nach wie vor sehr wirkungsvoll rächen können.
    Über dem Zwischenraum, auf dem die Tische gestanden hatten und wo jetzt nur noch der frisch geputzte Mosaikfußboden zu sehen war, hatte Helena Justina mich in meine düsteren Gedanken vertieft beobachtet. Sie hielt meinen Blick fest, bis sich meine Stimmung hob, und lächelte leise. Meine Erkältung setzte mir zu. Ich wäre gern nach Hause verschwunden, aber es war noch zu früh, sich zurückzuziehen. Die Gastfreundschaft hielt uns unbarmherzig fest.
    Saturninus hatte seine Aufmerksamkeit einer Schale mit Nüssen gewidmet. Jetzt sah er plötzlich auf und bestand darauf, wie Leute das tun, wenn man schniefend allein gelassen werden

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