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Den Tod im Blick- Numbers 1

Den Tod im Blick- Numbers 1

Titel: Den Tod im Blick- Numbers 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
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sah mich genau an. »Ist es heute, Jem?«
    Ich starrte mit leerem Blick zurück und tat so, als wüsste ich nicht, was er meinte. »Was?«
    »Ist heute der Tag, an dem für mich alles vorbei ist? Du weißt schon. Werden sie uns finden? Werden sie mir ’ne Kugel reinjagen wie dem Typen in der U-Bahn?«
    Ich spürte, wie mir Tränen in den Augen brannten. »Frag mich nicht, Spinne. Du weißt doch, ich kann’s dir nicht sagen.«
    »O Scheiße«, flüsterte er. Er hob beide Hände vors Gesicht, als ob er betete. Er atmete schwer, die Augen zuckten panisch nach links und rechts. Es quälte mich, ihn so zu sehen. Ich konnte es nicht länger ertragen, deshalb brach ich die Regel.
    »Es ist nicht heute«, sagte ich leise. »Spinne, hörst du? Es ist nicht heute.«
    Er ließ seine Hände sinken und sah mich an. Seine Augen waren rot gerändert.
    »Danke«, sagte er und ich nickte. »Ich hätte nicht fragen dürfen und ich frag auch nie wieder. Versprochen.« Er wirkte jetzt wie ein kleiner Junge, so ernst und feierlich.
    Ich wollte meine Arme um ihn legen und ihm sagen, alles wird gut. Plötzlich musste ich an Val denken, die Frau, die ihn so getröstet hatte, als er klein war; und die Worte, die sie zu mir gesagt hatte – war das wirklich erst zwei Tage her? –, kehrten laut und vernehmlich in meinen Kopf zurück. Pass gut auf ihn auf, Jem. Beschütz ihn . Es wurde mir alles zu viel – ich steckte zu tief drin.
    Wir aßen auf den Strohballen sitzend den Rest von unseren Vorräten. Ich wandte den Kühen den Rücken zu, damit sie mich nicht dran hindern konnten zu essen. Wir teilten uns die letzte Tüte Chips, nahmen jeder einen Schokoriegel und tranken die Cola aus. Wir aßen langsam und versuchten aus so gut wie nichts eine Mahlzeit werden zu lassen. Als wir die letzten Bissen runterschluckten, wussten wir beide Bescheid. Das war’s. Alles weg. Wir hatten keine Wahl mehr. Morgen würden wir handeln müssen. Es gab keine andere Möglichkeit.
    Als wir fertig waren, gab es nichts mehr zu tun. Wir redeten ein bisschen, aber wir hatten nicht viel zu sagen. Uns war klar, dass wir in Schwierigkeiten steckten, und es bedrückte uns. Nach einer Weile krochen wir in Spinnes Strohhöhle, breiteten unsere Decken aus und kauerten uns weit voneinander entfernt zusammen.
    Inzwischen war es dunkel, aber wahrscheinlich war es erst fünf Uhr. Wir lagen da, redeten ein bisschen und horchten auf die Kühe. Wenn man vermied, dran zu denken, wie ekelhaft und groß sie waren, war es eigentlich ein ganz angenehmer Klang; man hörte, wie sie Luft durch die großen haarigen Nüstern bliesen, sich im Heu bewegten und die ganze Zeit kauten. Jedes Mal, wenn eine furzte, brüllte Spinne vor Lachen. Manche Menschen sind echt leicht glücklich zu machen.
    Ich weiß nicht, wie lange wir dalagen. Es gelang mir einfach nicht, mich zu entspannen. Die Ballen, auf denen ich lag, waren ziemlich hart und die Strohhalme kratzten selbst durch die Decke. Meine Haut, mit dem Dreck von zwei Tagen, juckte wie blöde, genau wie mein Schädel. Ich fühlte mich verklebt, schrecklich.
    »Jetzt könnt ich ein Bad gebrauchen oder noch besser: eine Dusche«, sagte ich, rutschte liegend hin und her und versuchte mir den Rücken am Stroh unter der Decke zu kratzen.
    »Ist mir egal«, sagte Spinne.
    »Offensichtlich«, antwortete ich.
    »Wie meinst du das?«, fragte er.
    »Du stinkst, Spinne. Ist echt kein Vorwurf, aber es stimmt. Ich stink auch, und das will ich nicht.«
    Während wir sprachen, war im Hintergrund ein Geräusch entstanden. Jetzt, als wir schwiegen, hörte ich ein Trommeln auf das Blechdach. Es regnete. Der Lärm war unglaublich, Wasser hämmerte auf Metall. Ich robbte aus dem Tunnel und setzte mich auf einen Strohballen, zog mein Oberteil über den Kopf und knöpfte die Jeans auf.
    »Was machst du?!« Spinne war hinter mir rausgekrochen.
    Meine Jeans verhakten sich an den Schuhen. Ich riss an den Schnürsenkeln.
    »Ich mach mich sauber. Los, komm, komm mit raus.« Ich zog alles aus, bis auf den BH und die Unterhose. Barfuß, ohne Schuhe und Strümpfe.
    Ich rannte nach draußen. Es prasselte vom Himmel. Ich spürte, wie Matsch und Dreck an meinen Beinen hochspritzten, als große Tropfen den Boden trafen. Es war mir egal. Ich fühlte mich großartig. Frische, eisige Nadelstiche trafen meine nackte Haut. Ich hob mein Gesicht zum Himmel, rieb es mit den Händen und fuhr mir über den Schädel, durch die borstigen Haare. Das Jucken verschwand. Ich strich den

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