Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
Menschenkenntnis bebauten Verstand" fordert. Im merkwürdigen Gegensatze dazu steht eine Rezension, die ein Jahr vorher in der gleichen Zeitschrift (Annalen der österreichischen Literatur I [Wien 1802], Sp. 112) erschien und die anonyme Novelle „Olivier" besprach; der Verfasser dieser Anzeige soll Köderl gewesen sein (Hormayr, Taschenbuch XXXIV, S. 122). Dieser sagt, die Erzählung gäbe „selbständig einen kleinen Roman, der, die Elferei, die so füglich wegbleiben könnte, abgerechnet, der natürlichste, feinste, zarteste, schönste Roman ist, der seit Jüngers Tode in Wien geschrieben wurde". Die Verfasserin be-weise darin, daß nur gebildete Weiber Liebe „in ihren tausend-fältigen Formen mit Wahrheit und Delicatesse malen können. Es versuche sich ein Mann, einen ähnlichen Roman, der' so wenig Handlung enthält, und sich eben so leicht und gut und mit immer steigendem Interesse lesen ließe, zu schreiben; und vielleicht wird er mit uns gestehen, daß es kein Paradoxon ist, wenn man behauptet: unsere Weiber sollen uns Romane schreiben und unsere Romanenschreiber sollen Nadel und Faden statt der Feder in die Hand nehmen. Wenn die Verfasserin die Elferei weglassen wollte (der Held könnte ja auch auf einem natür-lichen Wege zu einer schöneren Gestalt gelangen, seine Ab-kunft könnte ihm auf eine natürliche Weise unbekannt geblie-ben sein), wenn sie hie und da einige zu gedehnte Situationen und Herzensanatomien etwas abkürzen und nur ein wenig rascheren Gang, nur etwas mehr Handlung in die Geschichte bringen wollte, so würde diese Erzählung, ein allerliebstes Dingelchen werden, das man gewiß auch zum zweiten Male mit Vergnügen lesen würde."
Schreyvogel äußerte Ähnliches (Tagebücher. Herausgegeben von K. Glossy I [Berlin 1903], S. 268) unterm 13. Dezember 1813:
Olivier „hat einen beinahe meisterhaften Gang der Handlung. Das ist eine Schriftstellerin wie ein Mann".
Dieser kleine Roman wurde sowohl ins Französische (Olivier. Traduction libre de l'allemand, d'apres Mme. Caroline Pichler, nee de Greiner, par Mme. de Montolieu. Avec figure. 2 vols. in 12". Paris 18235 ^S^' Bibliographie de la France 1823, S. 4, Nr. 30) als ins Holländische (Amsterdam 1823; Schindel, Die deutschen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts II [Leipzig 1825], S. 116) übersetzt.
^"') Leonore. Ein Gemähide aus der großen Welt. 2 Theile. Wien 1804. Bey Anton Pichler. S**. 231 und 302 S.; später S. W.2 I, II. Wien 1820. Mit je einem Kupfer Qos. Schmidt sc).
Auch dieser Roman fand keine allzu günstige Aufnahme. Auf Schreyvogel (Tagebücher I, S. 267), den die letzten Szenen häus-lichen Glückes rührten, wirkte mehr die Sache als die Kunst. Ein Rezensent Gk. (Göckingk.'') entwarf aus dem Inhalt des Romans in etwas boshafter Weise ein Bild der Verfasserin (Neue allgemeine Deutsche Bibliothek XCI [Berlin 1804], S. 96ff.):
„Madame P. ist eine weder hübsche, noch häßliche, recht leid-liche, entweder kinderlose oder doch nur mit einem Jungen und einem Mädchen in der Fabrica maritali abgefundene Frau, die sich nicht ohne Geschmack kleidet, zugegen ist, wenn die Kind-lein gewaschen und gesäubert werden, und nur in preßhaften Fällen, und wenn die Presse (zwey so handfeste Bände wollen geschrieben und gedruckt seyn!) —drängt, die Milchsuppe und den Mehlbrey verbrennen läßt, — übrigens gesellig, nicht keifend, freundlich, am Theetische redselig, in Abendzirkeln gern das Wort führend, ein wenig eifer-, aber dagegen nur mäßig putzsüchtig usw." Als Schlußfolgerung ergab sich: „Madame P. mag eine recht gute Frau seyn; sie hat einen höchst alltäglichen Roman geschrieben, in dem es, wie in gewissen Familiengeschichten und dramatischen Werken recht bürgerlich — nach Weise des sogenannten Mittel-standes hergeht. Die große Welt, von welcher der Titel spricht, ist ihr fremd; und das, was sie so zu nennen beliebt, veranlaßt zu dem Wunsche: fern von der großen, sich eine recht kleine Welt zu seiner Umgebung zu bilden. — Dazu bedurfte es aber dieses Bchlechtgepinselten, in einem geschmacklosen Rahmen gefaßten Gemäldes wahrlich nicht!" — L. L. Haschka, der in die Pichler „pro tempore verliebt" ist, verlangte unterm 5. März und 9. Ok-tober 1804 von Reinhold ein Urteil über die Leonore, ohne sich selbst darüber auszulassen (R. Keil, Wiener Freunde S. 81). — Ein Anonymus nannte (Annalen der Literatur und Kunst in den österreichischen Staaten III 2 [Wien 1804], Sp. 449ff., 457ff.) die
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