Denn dein ist die Schuld
schwere Körperverletzung, dazu eventuell einen sechshundertzehn, Nötigung, statt des berüchtigten Paragraphen fünfhundertfünfundsiebzig, Totschlag, vorwerfen würde, würden sie singen wie zwei Kanarienvögel.
Und sie hatten einiges zu erzählen.
»Gut, verhandeln wir«, sagte der Staatsanwalt. »Aber ich will alles, aber wirklich alles über eure Organisation wissen, wenn es eine gibt. Wie und wann sie entstanden ist, die Namen ihrer Anführer, wer sie beschützt, wer die Geldgeber sind, alles!«
So kam heraus, dass Fritz und Mastino keiner Organisation angehörten. Sie waren käufliche, professionelle Schläger, beide über dreißig, die für jeden zuschlugen, der ihnen Geld gab, oder auch umsonst, wenn es ihnen einfiel. Aber Acido und Klaus, der eine fünfunddreißig, der andere achtunddreißig Jahre alt, gehörten zu einer Zelle. Und was für einer Zelle!
Die beiden redeten wie ein Wasserfall, füllten seitenweise Aussageprotokolle und forderten am Ende, ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden.
»Sie erfüllen die Voraussetzungen«, erklärte Ispettore Capo Vincenzo Marino, als er einige Tage später das Rundschreiben der Carabinieri über die den Fall Simonella betreffenden Fakten erhielt, die in den Verhören ans Licht gekommen waren und eine ebenso überraschende wie erfolgversprechende Spur eröffneten. »Aber trotzdem sind das richtige Schweine.«
KAPITEL 79
Donnerstag, 8. März, 07:30 Uhr
Eine blaue Limousine mit verdunkelten Fensterscheiben glitt am frühen Morgen in den Innenhof des Polizeipräsidiums und durfte ausnahmsweise dort parken. Aus einer der hinteren Türen stieg ein großgewachsener Mann aus, der gerade erst das Seniorenalter erreicht haben musste, seine Figur war durch zu viel Sitzen ein wenig aus der Form geraten, aber er bewegte sich schnell und entschlossen vorwärts. Er hatte einen wohlgeformten Kopf voller stahlgrauer Haare, und die markanten Züge seines ernsten Gesichtes hatten noch nicht unter der Schwerkraft des Alters gelitten.
Offensichtlich wurde er bereits erwartet, denn der Leiter des Mobilen Einsatzkommandos Enzo Ardazzone empfing ihn sofort. Er war schon bei Tagesanbruch nur wegen dieses besonderen Besuchers ins Büro gekommen, dessen Stellung man an einigen auffälligen Details erkannte, obwohl er einen normalen schwarzen Anzug trug: das schwarze Hemd mit der schmalen purpurroten Borte, der Römerkragen und schließlich die Goldkette mit dem schweren Bischofskreuz, die unter der Jacke hervorsah.
»Guten Morgen, Eminenz«, begrüßte ihn Dottor Ardazzone und verbeugte sich leicht, um den Ring mit dem Amethyst zu küssen, obwohl er durch Ort und Umstände der Begegnung eigentlich von dieser Pflicht befreit war. »Kommen Sie, ich bringe Sie in mein Büro.«
Seine Eminenz der Erzbischof von Mailand persönlich stattete dem Polizeipräsidium einen Besuch ab.
Diese Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer auf den Fluren, und diejenigen, die gerade eintrafen, weil ihre Schicht begann, mischten sich unter die, die eben Feierabend machen wollten, und bildeten ein Spalier bis zu dem großzügigen Direktionsbüro ihres Chefs im dritten Stock.
Schnell, nicht überhastet schritt der Erzbischof mit freundlichem, aber ernstem Gesicht durch die Menge, seine Hand war zum Gruß erhoben, segnete aber nicht. Die Aufgabe, die auf seinen Schultern lastete, war schwer und gestattete keine Ablenkung.
Eine Stunde später verließ ein Zivilfahrzeug mit Vincenzo Marino und Ispettrice Sandra Leoni den Fuhrpark des Polizeipräsidiums und steuerte das andere Ende der Stadt an.
Don Mario war im Bad und rasierte sich gerade. Er war spät aufgestanden, denn in der Nacht hatte er kein Auge zugetan, erst im Morgengrauen war er in einen bleiernen Schlaf gesunken. Als er die Klingel des Pfarrhauses hörte, fuhr er so zusammen, dass er sich schnitt.
Eingedenk der Worte der Beamten, die ihn in den Hausarrest überstellt hatten, legte er augenblicklich den Rasierer aufs Waschbecken, wischte sich den Schaum mit einem Handtuch ab und eilte so, wie er war, mit halbrasiertem Gesicht zur Tür.
Seit Beginn seines Hausarrests hatte er bereits vier Kontrollen zu den unmöglichsten Zeiten über sich ergehen lassen müssen, und neben den Sorgen war es vor allen Dingen seine Angst, er könnte die Klingel überhören, die ihm den Schlaf raubte.
»Don Mario, verzeihen Sie bitte die frühe Uhrzeit«, entschuldigte sich der Ispettore Capo und streckte ihm die Hand hin. »Es ist
Weitere Kostenlose Bücher