Denn dein ist die Schuld
förmlich greifbar. Als hätte jemand so viel Schmerz wie eine Flüssigkeit im Raum versprüht, dass er alle Gedanken erstickte. Dort stand auch die Babywippe, in der Giovanni mit seinen kleinen Händchen herumgespielt und dazu merkwürdige, selbstausgedachte Laute gegluckst hatte.
An seinem Stühlchen, das neben dem Kühlschrank stand, klebten immer noch die Reste seines letzten Breis.
Auf dem Regal mit den Keramiktöpfen saß das gelbe Küken mit den großen schwarzen Augen und dem beweglichen Schnabel, mit dem man Giovanni beim Füttern prima zum Lachen und dazu bringen konnte, dass er seinen Mund für den Löffel weit öffnete.
So ein leckeres Breichen, Giovanni, schau mal, das Küken mag es auch! Ein Löffelchen für dich, ein Löffelchen für das Küken. Hammm!
Und Giovanni ließ sich den Löffel in den Mund stecken. Der Brei lief über sein pummeliges Kinn und landete auch auf seinen Backen. Und er lachte, lachte, lachte, stieß spitze Freudenlaute aus und spuckte seinen Brei in alle Richtungen.
An diesem Vormittag lief bei den Simonellas der Fernseher. Laura war wie immer mit ihren Gedanken woanders und verfolgte das Programm nicht, im Gegensatz zu ihrem Mann. Während er seine Frau weiter mit einem mit Vitaminen angereicherten Reispudding fütterte, hörte er aufmerksam zu, als die Nachricht vom Tod des jungen Carabiniere und der Verhaftung der vier Mörder gebracht wurde. Er lauschte auch den Vermutungen der Journalisten. Ein Verbrechen wie so viele, dachte er, nichts, was einem den Schlaf raubte. Schade um diesen jungen Mann. So ein dummer, so ein sinnloser Tod!
Er wollte gerade Laura davon überzeugen, noch einen letzten Löffel Reispudding zu essen, als der Nachrichtensprecher den Namen der ultrarechten Gruppierung nannte, der zwei der Verhafteten wahrscheinlich angehörten. Luciano Simonella sah schlagartig auf. Er legte den Löffel auf den Teller und stellte den Fernseher lauter.
Der Kommentator aus dem Off stellte eine etwas gewagte Verbindung zwischen diesem Akt von großstädtischer Gewalt und der Affäre um die illegalen Mitschnitte von Telefongesprächen her. Er fasste noch einmal die Ereignisse, die Simonellas Firma betrafen, zusammen, und irgendwann fiel auch sein Name.
Während Luciano Simonella versuchte, seine widerwillige Frau zu füttern, lauschte er aufmerksam und dankte dem Himmel dafür, dass Laura in ihrer Betäubung durch die Psychopharmaka der Sendung keine Aufmerksamkeit schenkte.
Der Löffel wanderte mechanisch vom Teller zum Mund der Frau, die mit leerem Blick wie hypnotisiert vor sich hin starrte.
Als der Bericht endete und man zu einem anderen Thema überging, stand der Ingegnere auf, schaltete den Fernseher aus. Er schälte eine Mandarine, teilte sie in Spalten und entfernte die weißen Häutchen.
»Ich bitte dich, Laura, iss doch ein Stückchen davon. Nur eines …«
Laura schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen.
Das Dienstmädchen kam, räumte den Teller ab und servierte den Kaffee.
Luciano Simonella trank ihn im Stehen und beobachtete dabei seine Frau, die nun ihre Fingernägel eingehend untersuchte. Dann stellte er die Tasse ab und setzte sich neben sie. Er nahm zärtlich mit zwei Fingern ihr Kinn und drehte ihren Kopf zu sich.
»Laura, du musst ein bisschen schlafen, ich gehe jetzt. Hast du mich verstanden, Laura?«
»Ja, sicher, geh nur, ich warte auf dich.«
»Gut, mein Schatz. Jetzt bringe ich dich noch ins Bett.«
»Ja, danke, ich bin müde.«
Fast ein Monat war seit Giovannis Entführung vergangen, und seit diesem Zeitpunkt hatte sie aufgehört, aus eigenem Antrieb zu essen. Sie schlief fast den ganzen Tag, als wollte sie so die Wartezeit bis zur Rückkehr ihres Sohnes verkürzen. Nachts irrte sie schlaflos im Nachthemd durch die Wohnung, schaltete alle Lichter ein und verrückte die Möbel. Oder sie stellte sich im Dunkeln vor das große Fenster im Wohnzimmer und starrte stundenlang in den gelblichen Lichtschein der Laterne vor dem Wohnhaus.
Durch das Fasten wog sie so wenig, dass ihr Mann sie auch auf die Arme nehmen und mühelos ins Schlafzimmer hätte tragen können. Er blieb noch kurz in der Tür stehen und betrachtete sie abwesend. Laura hatte ja schon immer einen blassen Teint gehabt, aber in diesen Tagen war ihre Haut so durchsichtig geworden, dass man an den Schläfen, der Kehle und auf dem Handrücken das bläuliche Geflecht ihrer Venen durchscheinen sah.
Auch die von Strähnchen aufgehellten Haare, die früher so glänzend
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