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Denn dein ist die Schuld

Titel: Denn dein ist die Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adele Marini
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Kreuzschiff aussah.
    Durch die beschlagenen Seitenfenster des Wagens beobachtete Ivan, wie sich die Menschenmassen an den Eingangstüren drängten. Wie dumm von mir, dachte er. Wenn wir noch fünf Minuten gewartet hätten, hätten wir auch die Bahn nehmen können.
    Es fröstelte ihn.
    In dieser eiskalten Februarnacht, in der der Verkehr durch den aufsteigenden Nebel und den gefrierenden Schnee nur langsam vorwärtskam, bog der Fiat Panda völlig überraschend an der ersten Ampel nach rechts in eine Seitenstraße zum Naviglio ab und ließ die beleuchtete Hauptstraße hinter sich.
    »Keine Sorge! Das ist eine Abkürzung«, sagte der Mann, als er den ängstlichen Blick des Jungen bemerkte. »Du willst doch auf dem schnellsten Weg nach Hause, oder?«
    Ivan antwortete ihm nicht. Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können: Durch die beschlagene Windschutzscheibe bemerkte er die roten Rücklichter des Autos vor ihnen und die gelben Scheinwerfer der Autos, die ihnen entgegenkamen. Sogar hier auf der Nebenstrecke herrschte dichter Verkehr.
    Von den Wassern des Naviglio stiegen Nebelschwaden auf, gelblich eingefärbt von den Scheinwerfern der Autos, die sich auf der Uferstraße stauten. Das war nicht der übliche Weg zu ihnen nach Hause.
    Beunruhigt drehte der Junge sich zur Seite, um sich zu orientieren. Doch das Seitenfenster war beschlagen. Mit seinem Jackenärmel wischte er das Kondenswasser weg, aber er konnte trotzdem kaum etwas erkennen, nur diese Dunkelheit, immer wieder durchbrochen von den Lichtern der entgegenkommenden Autos. Er starrte wieder nach vorne: Im Scheinwerferkegel glitzerten winzig kleine Schneeflocken, und er fühlte sich wie auf einem Raumschiff in Krieg der Sterne , das in den Hyperraum vorstieß. Dieser Gedanke schoss ihm nur kurz durch den Kopf, aber er beunruhigte ihn eher.
    Dann drückte er sich wieder die Nase am Seitenfenster platt. Jenseits der Brücke der Umgehungsstraße war der Verkehr wie abgeschnitten, und hier gab es auch keine Straßenbeleuchtung. Auf der einen Seite war der Naviglio, auf der anderen Seite erstreckte sich neben der Fahrbahn bloß noch flaches Land, was Ivan aber nur erahnen konnte, da der Nebel sich inzwischen zu einer undurchdringlichen Wand entwickelt hatte.
    Draußen gab es nur noch Dunkelheit, Schnee und Nebel.
    Der Wagen fuhr weiter, bog mal links, mal rechts ab, nach einer Logik, der der Junge nicht folgen konnte. Schließlich, nach einigen Kreiseln und einer scharfen Kurve, in der die Kinder gegen das kalte Metall der Seitentüren prallten, verließ er die asphaltierte Straße und bog in einen unbefestigten Feldweg ein, wo das Fahrzeug sofort mit den Reifen im Schlamm einsank.
    Der Mann am Steuer wusste sich zu helfen. Er legte den Rückwärtsgang ein und gab ganz wenig Gas, bis die Reifen allmählich wieder griffen. Danach fuhr er vorsichtig weiter.
    Ivan hatte völlig die Orientierung verloren. Er drehte sich nach hinten zu seiner Schwester um und sah, dass sie sich gegen ihren Schulranzen lehnte. Martina musste unterwegs eingeschlafen sein und wurde auch nicht wach, als das Auto heftig über die Torschwelle zu einem riesigen Hof eines düsteren Bauernhauses holperte.
    »Wo sind wir denn hier?«, fragte er ängstlich.
    »Sei still, ich muss kurz was erledigen, dann bringe ich euch nach Hause.«
    »Aber Sie hatten doch gesagt …«
    »Jetzt halt den Mund, wir fahren ja gleich wieder.«
    Ein Blick auf das versteinerte Gesicht des Mannes ließ weitere Fragen verstummen. Bei Ivan schrillten alle Alarmglocken. Er starrte weiter durch das Seitenfenster, doch dort sah er nur die undurchdringliche Dunkelheit der Nacht.
    Schließlich hielt der Wagen vor der schwarzen Silhouette eines Gehöfts. Der Mann öffnete die Fahrertür.
    »Rührt euch nicht von der Stelle«, sagte er herrisch. »Es ist gefährlich. Hier laufen Hunde frei herum. Ich komme gleich wieder.«
    Seine Stimme klang überhaupt nicht mehr freundlich. Das war ein knapper Befehl gewesen. Außerdem stellte der Mann nun den Motor aus und zog sicherheitshalber den Schlüssel ab. Ivan war zwar erst elf Jahre alt, aber er war auf der Straße groß geworden, wo man schon mit neun Jahren Autos klaute. Man konnte ja nie wissen.
    Fünf oder sechs Minuten später ging an der Fassade ein Licht an und beleuchtete das Schneegestöber. Zwei Männer näherten sich dem Wagen. Ivan kannte sie beide, aber ihre Gesichter verhießen nichts Gutes.
    Jetzt hatte er richtig Angst.
    Der Junge machte sich ganz klein und

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