Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
erst kurz nach sechs war; ein erster dämmriger Lichtschein erhellte den Spalt zwischen den Schlafzimmervorhängen. Gemma stöhnte leise und zog sich das Kissen über den Kopf, als er den Hörer ans Ohr hielt.
»Kincaid«, krächzte er.
»Duncan, hier ist Bill Farrell. Tut mir Leid, dass ich Sie so früh aus dem Bett klingle, aber ich dachte, Sie würden es bestimmt wissen wollen.«
Er setzte sich im Bett auf, während er die letzten Reste des Schlafs abschüttelte. »Was denn?«
»Gestern Abend hat es wieder ein Feuer in einem Lagerhaus in Southwark gegeben, kurz vor Ende der Tagschicht. Ich hatte gestern keinen Dienst, deshalb hat ein anderes Team die Erstermittlung durchgeführt. Ich habe erst heute früh davon erfahren.«
»Was ist pas…«
»Ich weiß nur, dass es ein verheerender Brand war, und dass es unter den Feuerwehrleuten ein Todesopfer gegeben hat.«
»Mein Gott.« Kincaid erinnerte sich daran, dass Rose Kearny ihm gesagt hatte, sie habe am Sonntag Schicht. »Wissen Sie, wer es ist?«
»Noch nicht. Ich treffe mich mit Martinelli am Brandort. Ich dachte, vielleicht möchten Sie auch kommen. Es ist in der Nähe der Waterloo Road – Webber Street.«
»Geben Sie mir eine halbe Stunde.«
Als Kincaid auflegte, sah er, dass Gemma hellwach war und ihn beunruhigt anstarrte.
»Wieder ein Feuer in Southwark«, sagte er, ehe sie ihn fragen konnte. »Ich muss sofort hin.«
Er fuhr nach Osten, in einen prächtigen Sonnenaufgang hinein, und versuchte, an alles Mögliche zu denken, nur nicht an Rose Kearny. Die Stadt erwachte gerade zum Leben, in Erwartung des neuen Tages begann ihr Puls, schneller zu schlagen, und als er über die Waterloo Bridge fuhr, spiegelte sich der Himmel im Fluss wie eine rötlich schimmernde Bahn geschmolzenen Kupfers. Solche Schönheit schien unvereinbar mit dem Gedanken an Verbrechen und Tod, und der Anblick verstärkte nur die Vorahnungen, die ihm das Herz zusammenschnürten.
Als er an der Ecke, die Farrell ihm beschrieben hatte, von der Waterloo Road abbog, wurde ihm plötzlich klar, wie nahe der Brandort an der Ufford Street und Fanny Lius Haus lag. Und dann ragten auch schon die rauchgeschwärzten Mauern des Lagerhauses vor ihm auf; hart zeichneten die Umrisse sich vom Himmel ab, der sich zusehends golden verfärbte. Das Dach des Gebäudes war eingefallen, und die Reste des Mauerwerks wirkten wie faulige, abgebrochene Zähne. Rings um das Gebäude lagen Haufen von verkohltem Schutt und Reste eines kaputten Drahtzauns umher, und ein brenzliger Geruch breitete sich im Wagen aus. Das blau-weiße Band, mit dem der Brandort abgesperrt war, flatterte leicht im auffrischenden Wind.
Er erkannte Bill Farrells Van, der am Straßenrand parkte, und kurz darauf sah er Farrell selbst, der zur Ruine des Lagerhauses
aufblickte. Bei ihm waren Jake Martinelli und Scully, die Hündin.
Als er auf sie zuging, drehten die Männer sich um und begrüßten ihn, während Scully mit einem Schwanzwedeln zu verstehen gab, dass sie ihn wiedererkannte. Kincaid bückte sich, um sie zu streicheln, und vergrub die Hände im dichten Fell ihres Nackens. Er blickte zu Farrell auf und fragte: »Haben Sie …«
»Ich habe auf dem Weg hierher in der Wache vorbeigeschaut. Es handelt sich um einen jungen Feuerwehrmann namens Bryan Simms. Er war in Rose Kearnys Trupp.«
Kincaid verspürte eine Woge der Erleichterung, gefolgt von Scham. Wieso sollte der Tod dieses jungen Mannes weniger tragisch sein, nur weil er ihn nicht persönlich gekannt hatte? Warum war es ihm so wichtig zu wissen, dass Rose Kearny wohlauf war?
Er musste sich für einen Moment ablenken, um seine Emotionen unter Kontrolle zu bekommen, und so tätschelte er Scully den Kopf und sagte: »Na, gibt’s wieder Arbeit für dich, Mädchen?« Die Hündin bedankte sich für die Aufmerksamkeit, indem sie Kincaid das Ohr abschleckte.
Er richtete sich wieder auf und wandte sich an Farrell. »Wie ist es passiert?«
»Der Trupp musste die Brandbekämpfung im Inneren abbrechen, als eine Person im dritten Stock gemeldet wurde. Simms und Kearny sind über die Drehleiter hoch. Es waren keine Flammen zu sehen, also sind sie durchs Fenster eingestiegen.« Farrell wandte sich ab und blickte zu dem Gebäude hoch. »Der Rauch war so dicht, dass sie nichts sehen konnten. Es war ein ungesicherter Aufzugsschacht. Simms fiel bis in den Keller. Es dauerte drei Stunden, bis die Mannschaften das Feuer so weit eingedämmt hatten, dass er geborgen werden konnte.« Er
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