Department 19 - Die Wiederkehr: Thriller (German Edition)
Erde waren die natürliche Heimat des mittleren Rusmanovs, und dort trieb er sich zweifellos herum, umgab sich mit dem Abschaum der Menschheit, während das Leben seines Meisters am Borgo-Pass verebbte.
Valeri und Valentin hatten unter Schloss Dracula gestanden, über die Berge Transsilvaniens hinausgesehen und aufs Andenken ihres gefallenen Meisters angestoßen. Die Nachrichten über seinen Tod waren widersprüchlich; die Zigeuner, die zuletzt mit ihm zusammen gewesen waren, wussten kaum mehr als die Nationalität seiner Mörder: ein Amerikaner, den sie – wie sie wiederholt versicherten – bei ihrem Versuch, Draculas Sarg zu verteidigen, getötet hatten, und vier Engländer.
Das Motiv für den Mord, außer der bloßen Tatsache, dass ihr Meister ein Vampir gewesen war, war unbekannt. Im Schatten des hoch aufragenden Schlosses hatten die Brüder sich geschworen, die von Dracula am Tag ihrer Verwandlung aufgestellte Regel weiterhin zu beachten: Sie würden keine neuen Vampire erschaffen; ihre Gabe sollte auf die drei Brüder und ihre Frauen beschränkt bleiben. Dann trennten sie sich freundschaftlich und mit dem Versprechen, auch zukünftig in Verbindung zu bleiben.
Im folgenden Jahrhundert sahen sie sich nur dreimal.
Diese und viele andere Gründe ließen Valeri Schuldgefühle empfinden. Dass er die sterblichen Überreste seines Meisters nicht aufgespürt und in Sicherheit gebracht hatte – und sei es nur, um sie zu bestatten, wie es eines Fürsten der Walachei würdig war –, war ein Fehlverhalten, das ihn ewig verfolgen würde.
Schuldgefühle hatte er auch wegen des epidemischen Vampirismus, der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erst Europa, dann die ganze Welt erfasst hatte, weil sie sich nicht an die Regel ihres Meisters gehalten hatten. Valeri wusste, dass Dracula seine Brüder und ihn eines Tages dafür zur Verantwortung ziehen würde; in vieler Hinsicht befriedigte diese Aussicht ihn sogar. Er würde seine Fehler gestehen und die ihm gebührende Strafe auf sich nehmen; er würde nicht um Gnade bitten oder seinen Meister belügen.
»Valeri?«, fragte Dracula. »Ich habe eine Erklärung verlangt. Da dies deine Fähigkeiten zu übersteigen scheint, wollen wir’s mit einer einfacheren Frage versuchen: Sind die Männer, die mich umgebracht haben, noch am Leben?«
Der uralte Vampir starrte aus einem Fenster von Valeris Arbeitszimmer über die sanft bewegten Wipfel des Pinienwaldes hinaus. In der kalten Nachluft erschien ihr Rascheln den beiden Vampiren laut wie tosender Applaus.
»Nein, Meister«, antwortete Valeri. »Sie sind gestorben. Vor vielen Jahren.«
»Das enttäuscht mich«, knurrte Dracula, die blutroten Lippen zu einem humorlosen Grinsen verzogen.
Dann herrschte für lange Augenblicke Schweigen in dem Arbeitszimmer. Valeri wartete geduldig, während sein Meister in den dunklen Tiefen seiner Erinnerung versank.
Obwohl er nicht vernichtet worden war, war Vlad über hundert Jahre lang tot gewesen. Der Kollaps seines Leibes war in jeder Hinsicht mit dem Tod eines Menschen vergleichbar gewesen. Die Systeme seines Körpers hatten zu arbeiten aufgehört, sein Bewusstsein war geschwunden; der einzige Unterschied zwischen seinem Los und dem jedes gewöhnlichen Menschen, wenn das Ende kam, bestand aus dem Vampir-Virus in den Zellen seiner sterblichen Überreste, das ihn bei reichlicher Blutzufuhr jederzeit wiederherstellen konnte.
Daher waren die Jahre wie ein Augenblick vergangen. Als er wieder zu sich gekommen war, nachdem Valeri ihn in der Grube unter der Familienkapelle wiederbelebt hatte, als sein Gedächtnis unter größten Schmerzen zurückgekehrt war, hatte er sich als Letztes an das Gefühl erinnert, als Jonathan Harker ihm mit seinem Kukrimesser mühelos die Kehle durchgeschnitten hatte, sodass sein Blut, sein eigenes kostbares Blut die gefrorene transsilvanische Erde besprenkelt hatte.
Er hatte nicht gewusst, was seither mit ihm geschehen oder wie viel Zeit verstrichen war. Als seine Sprache zurückgekehrt war, was er Valeris aufmerksamer und regelmäßiger Versorgung mit Blut verdankte, hatte er seinen treuesten Diener danach gefragt. Valeris mit vor Nervosität zitternder Stimme gegebene Antwort hatte ihn verblüfft.
Über hundertzwanzig Jahre in der Erde!
Das war unbegreiflich, überstieg sein Vorstellungsvermögen. Als nie gekannte Wut ihn durchflutete, hatte er gespürt, wie sein Körper ihm den Dienst versagte, und sich zur Ruhe gezwungen, bevor er drohte, wieder zu Staub
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