Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige
auch um. Aber oft wollen sie durch einen Suizidversuch einen Hilferuf aussenden (Handgelenke aufschneiden, eine Überdosis Medikamente einnehmen usw.). Durch dieses drastische Vorgehen machen sie ihre Umgebung auf ihr Leiden aufmerksam; sie soll sich bitte um sie kümmern und ihnen beistehen.
Dass dieses Geschehen überhaupt stattfindet, führe ich nur auf den Schmerz zurück, zumindest im Falle von Depressionen. Allerdings kann es geschehen, dass sich ein Mensch spontan, ohne Planung, das Leben nimmt, etwa in der Folge von Verbrechen oder einem jäh auftretenden »katastrophalen« Ereignis.
Der Suizidologe Shneidman hat Gemeinsamkeiten ermittelt, die sich bei den Suizidenten finden lassen: Der gemeinsame Grund des Suizids ist der Wunsch, eine Lösung zu finden. Das gemeinsame Ziel ist das Ende des Bewusstseins. Der gemeinsame Stimulus ist der unerträgliche und nicht tolerierbare psychische Schmerz. Das gemeinsame Gefühl ist die Hoffnungs- und Hilflosigkeit. Die gemeinsame Aktion ist die Gewalt gegen sich. Die gemeinsame interpersonelle Aktion ist das Reden über das Vorhaben. Wenn es die letztere Gemeinsamkeit gibt, so frage ich mich, warum man so oft (in der Schweiz 1 300 Mal pro Jahr) zu spät kommt, um einen Tod zu verhüten. Dabei gibt es viele Anlaufstellen bei psychischen Notfällen, oder wie der schweizerische Suizidexperte Konrad Michel sagt: »Bei einem Wespenstich rennen wir zum Arzt, bei schweren psychischen Krisen nehmen wir keine Hilfe an oder wissen nicht, wie wir einem Leidenden beistehen, geschweige denn mit ihm vernünftig reden können.«
Warum ist das so? Ich meine, dass die kranke Psyche auch heute noch ein Tabu darstellt, man redet halt einfach am liebsten gar nicht darüber, weil es unbegreiflich, mühsam, unpopulär, negativ, unsexy, unschicklich, unmännlich und weiß der Himmel was noch alles ist. Es scheint, dass man lieber Milliardenbeiträge pro Jahr an Schäden infolge der Depressionskrankheiten in Kauf nimmt, anstatt mit einem Promille dieser Kosten die Bevölkerung mit der Krankheit und ihren Auswirkungen vertraut zu machen. Ich zitiere nochmals Shneidman, der sagte: »Niemand muss sterben, niemand, es wird für dich getan.« Das heißt: Es muss sich niemand umbringen, der Tod wird ganz von alleine kommen …
Auftauchen
Meistens war es ganz einfach: Hatte ich es einmal bis zum Arzt geschafft, wurde dieser für mich bald zum Maß aller Dinge, denn ich war sehr krank und ich ließ mich leiten, ich war gänzlich fremdbestimmt. Es galt, seinen Rat bezüglich der Medikamente zu befolgen, die Krankheit zu akzeptieren, aber in dieser Krise die Hoffnung nicht zu verlieren. Die Therapien zu befolgen war schwierig, denn Zweifel, Ängste und Mutlosigkeit waren nie weit weg. Diese negativen Kräfte hielten meinen Geist besetzt, so dass etwa auftretende positive Gedanken ihre Wirkung kaum entfalten konnten.
Man muss Medikamente ja nicht nehmen, wenn man nicht will. Vielleicht setzt man sie ab, ohne den Arzt darüber zu unterrichten, weil die Nebenwirkungen allzu stark sind. Andererseits ist es sinnlos, einen Arzt aufzusuchen und dann seine Therapieanordnungen nicht zu befolgen. Also war ich in diesem Sinne ein guter Patient, denn: Wenn ich herzkrank wäre, würde ich doch die ärztlichen Vorschriften genauestens beachten, um nicht plötzlich zu sterben. Bei meiner Depression musste ich genau gleich vorgehen, denn ich wusste in meinem Innersten, dass auch diese Krankheit tödlich sein konnte.
Es war aber nicht einfach, und ich konnte mich nicht zurücklehnen und zufrieden in meiner Krankheit ausharren, in der Hoffnung, dass es besser würde. Trotz Medikamenten trat vorerst keine Besserung ein. Im Gegenteil, die Unruhe im Kopf wuchs, denn ich betrachtete meine Existenz in dieser verrückten Krankheit als ein durch und durch irreguläres, unstatthaftes, ja verbotenes Dasein, das auf jeden normal denkenden Menschen überaus abstoßend wirken und deshalb in jeder Beziehung stigmabehaftet erscheinen musste. Da wurde dann aus der Unruhe Verzweiflung und diese führte zur Selbsteinweisung in die Klinik.
Mein Klinikaufenthalt zeigte trotz anderer Medikamente und etwas anderer Beschäftigung kaum Wirkung, abgesehen davon, dass ich ein bisschen zur Ruhe kam. Die elende Zeit für mich und meine Lieben ging nach Verlassen der Klinik zu Hause weiter, und zwar monatelang. Bis mein Psychiater meinte, eine Rückkehr in die Klinik für die Zufuhr der Medikamente per Infusion in die Blutbahn müsste helfen.
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