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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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letzten Sekunde im Büro blieb.
     
    Der von Ihnen gewünschte Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar. Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt
     noch einmal.
     
    Isabel verzog ärgerlich das Gesicht. Hugo hatte nicht zurückgerufen, und jetzt war sein Handy offenbar ausgeschaltet. Da öffnete
     sich ihre Tür einen Spalt weit und Cass steckte den Kopf herein.
    »Gehen wir?« Cassandra lächelte, und Isabel lächelte zurück. »Wir sollten dieser Firma nicht eine Minute von unserer kostbaren
     Zeit schenken.«
    »Komm kurz rein, ich muss noch etwas erledigen.«
    Cassandra trat ein und setzte sich auf den Stuhl, auf dem normalerweisedie Bewerber saßen, während Isabel ein paar Sätze auf einen Zettel kritzelte.
    »Das ist für deinen Bruder, nicht wahr?« Isabel nickte. »Wie geht’s ihm denn?«
    »Gut, er ist sehr fleißig und brav wie immer.«
    »Das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe, war, als du ihn mal zur Arbeit mitgebracht hast. Danach hast du Vera und mich
     nach Hause gefahren. Weißt du noch?«, sagte Cassandra leise.
    Isabel erinnerte sich noch sehr gut daran. Es war noch nicht lange her, bei einem ihrer wenigen Treffen zu dritt. Vera mochte
     sie beide sehr und schien es darauf anzulegen, dass sie einander ebenfalls sympathisch fanden.
    Cassandra war tief in den Stuhl gesunken und hatte Kopf und Schultern eingezogen. Sie wirkte niedergeschlagen. Isabel verspürte
     ein großes Verlangen, sie zu trösten. Wortlos stand sie auf und ging zu ihrer Kollegin. Sie legte ihr den Arm um die Schultern.
     Cassandra zitterte heftig.
    »Mir geht’s schlecht, Isabel, mir geht’s wirklich mies, und sie ist verschwunden. Weißt du, was sie mir gesagt hat? Weißt
     du, was sie gesagt hat, bevor sie ging?« Cassandra hob den Kopf. Sie hatte Tränen in den Augen. »Sie hat gesagt, ich soll
     abhauen. Ich soll alles stehen und liegen lassen, das sei hier kein Ort für mich.«
    »Was, die Firma?«, fragte Isabel, der die Worte noch lebhaft in Erinnerung waren, die Vera zu ihr auf der Toilette im »Jym’s«
     gesagt hatte, bevor sie spurlos verschwunden war.
    »Keine Ahnung, vielleicht hat sie auch die Stadt gemeint. Oder die Leute, ich weiß nicht   … Aber ich kann doch nicht einfach kündigen, die Arbeit ist das Einzige, was ich noch habe. Und sag jetzt nicht, ich hätte
     Freunde, die habe ich nämlich nicht, nur eine Handvoll Typen, die mit mir ins Bett wollen und mich dann möglichst schnell
     vergessen. Bis vor kurzem hatte ich wenigstens noch Träume. Und ich hatte Vera. Wo ist sie, Isabel? Wo steckt sie bloß?«
    Tränen, vermischt mit schwarzer Wimperntusche, liefen ihr jetzt die Wangen hinunter. Instinktiv nahm Isabel sie in denArm. Sie wusste, dass es das Einzige und zugleich Beste war, was sie tun konnte. So verharrten sie fast fünf Minuten lang.
     Als sie sich voneinander lösten, kramte Isabel ein paar Papiertaschentücher aus ihrer Tasche und hielt sie ihrer Kollegin
     hin. Cassandra trocknete sich das Gesicht und schien sich zu beruhigen.
    »Tut mir leid, wirklich. Ich weiß gar nicht, was da über mich gekommen ist. In den letzten Tagen habe ich fast nicht schlafen
     können, und jetzt bin ich völlig mit den Nerven runter.«
    »Denk dir nichts.«
    Cassandra atmete tief durch und stand auf. Gemeinsam verließen sie das Büro und nahmen den Aufzug in die Tiefgarage. Isabel
     begleitete sie bis zum Wagen.
    »Hör mal«, sagte sie, während Cassandra die Tür öffnete, »ich will nicht darauf herumreiten, aber ich glaube, du solltest
     uns erzählen, was du von ihr weißt.«
    Cassandra nickte und legte ihre Handtasche auf den Beifahrersitz.
    »Ihr habt ja recht. Hier geschehen einige sehr merkwürdige Dinge. Es ist nur so: Ich bin nicht sicher, ob es gut wäre, die
     Wahrheit zu erfahren. Manchmal, Isabel, manchmal ist es besser, wenn man einfach vergisst und sich anderen Dingen zuwendet.«
    Isabel sah sie erstaunt an. »Wie meinst du das?   … Ich   … Wir müssen doch   …«
    »Lass gut sein«, wich Cassandra aus. »Nimm mein Gerede nicht so ernst. Ich bin völlig übermüdet, ich weiß kaum noch, was ich
     sage. Also, wir sehen uns dann morgen. Ich hoffe, deinem Freund geht es bald besser. Und danke. Dass du mich umarmt hast,
     hat wirklich gutgetan.«
    Isabel wollte etwas erwidern, aber ihre Kollegin hatte schon den Motor angelassen und die Fahrertür zugezogen. Einige Meter
     weiter blieb der Wagen jedoch noch mal stehen. Das Fenster an der Fahrertür ging herunter, und

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