Der 50-50 Killer
den Kopf. »Passen Sie auf ihn auf.«
Etwas unsicher nickte ich. Er starrte mich eine Sekunde an, dann nickte er zurück. Die Glastüren öffneten sich, er zog die Schultern hoch und ging hinaus in den Schnee.
4. Dezember
5 Stunden 35 Minuten bis Tagesanbruch
1:45 Uhr
Scott
Im Traum war Scott in seinem alten Zimmer. Die Bude, in der er während des zweiten Studienjahres gewohnt hatte.
Es war bei weitem das kleinste der sechs Zimmer im Haus. Er war hier mit fünf Freunden eingezogen, die er im ersten Jahr kennengelernt hatte. Die beiden, die das Haus gefunden hatten, nahmen die großen Räume unten, und er hatte sich einverstanden erklärt, diese kleine Kammer zu beziehen, um Streit mit den anderen zu vermeiden.
Das Zimmer war nur zweimal so breit wie sein Bett und etwas kürzer als seine doppelte Länge, aber er hatte nicht viele Sachen und lebte gern auf so kleinem Raum. Es zwang einen, sich zweckmäßig zu verhalten, und machte einem die Konzentration leichter. Die wenigen Besitztümer, die er besaß, CDs, Videos und sonstiger Kram, passten alle auf das Regal am Fenster, und die Dinge, die er für sein Studium brauchte, konnten zum größten Teil an dem Arbeitsplatz aufbewahrt werden, den ihm sein Institut zugeteilt hatte.
Es war das Jahr, in dem er Jodie kennengelernt hatte, und in seinem Traum kam sie auch vor. Sie saßen nebeneinander auf dem Bett, hatten die Kissen als Rückenstütze an die Wand geschoben und tranken Wodka und Cola, während sie sich einen Film auf seinem alten Videorekorder anschauten. Das flimmernde Licht des Bildschirms warf merkwürdige Schatten an die Wände.
Es war ein altes, feuchtes Zimmer. Der Geruch nach dem Essen, das sie hier oben zu sich nahmen, und vom Zigarettenrauch hing tagelang in der Luft, bevor er endlich auch in die Tapeten und Betttücher eindrang und sich unter der Haut des Zimmers festsetzte.
Trotzdem war er froh, wieder hier zu sein. Es waren glückliche Zeiten gewesen. Obwohl es nur ein Traum war, verspürte er jedes Mal ein prickelndes Gefühl der Erregung, wenn er seine neue Freundin berührte. Die Luft schien vor lauter Möglichkeiten zu glitzern.
Scott trieb ein wenig aus dem Schlaf empor, aber nicht so weit, dass er ihn ganz hinter sich ließ. Es waren seltsame Träume. So intensiv und so genau in den Einzelheiten, dass sie ihm wie Wirklichkeit erschienen, doch selbst mittendrin wusste er, dass dies nicht so war. Es waren merkwürdige, durcheinandergewirbelte Mischungen aus Erinnerung und Phantasie, Bildern und Instinkten, und es war schwer für ihn, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Sie hatten etwas Tröstliches, doch er wusste, dass es da auch Gefahren gab. Es war, als stünde er am Rand einer noch schrecklicheren Erinnerung, und sein Verstand müsse ihn immer wieder davon ablenken. Als er in den Traum zurücksank, nahm sein Zimmer um ihn herum wieder Gestalt an, doch er fühlte sich darin unsicher. Die Wände, die Vorhänge, alles war nur ein papierdünner Schutz. Er mochte die Bedrohung verdecken, würde sie aber nicht ewig fernhalten können. Früher oder später würden die wahren Erinnerungen ihren Weg zu ihm finden, und all dies würde in sich zusammenstürzen.
»Lass mich mal sehen.«
Plötzlich war es Tag, helles Licht kam durch die blassen Vorhänge, und Jodie saß auf der Bettkante. Ein Stoß Bilder lag am Fußende. Sie lehnte sich hinüber und streckte die Hand danach aus.
Er setzte sich schnell auf.
»Halt. Warte.«
Er wollte sie vorher durchsortieren, damit sie nur die sah, die er für die besten hielt. Er hatte ihr gerade gesagt, sie seien alle Mist – aber in Wahrheit waren ein paar dabei, die er in Ordnung fand, obwohl er ihre Reaktion abwarten wollte, bevor er das zugab.
Es brachte sowieso nichts, sich zu weigern. Jodie war energisch. Sie verstand ihn schon zu gut.
»Na, na.« Sie schlug seine Hand weg. »Ich kenne dein Spielchen, Junge. Lass mich einfach mal sehen.«
Er setzte sich zögernd wieder zurecht und sah dann zu, wie sie seine Bilder durchging. Sie verbrachte mehr Zeit bei jedem Bild als nötig, selbst bei den wirklich schlechten, einfach um höflich zu sein, stellte ihm Fragen und hörte sich seine Antworten an.
»Ich bin ziemlich stolz auf das da«, sagte er, als sie zu dem besten kam.
»Solltest du auch. Du solltest auf alle stolz sein. Du hast wirklich Talent.«
»Ach, nein.«
Diesmal schlug sie ihm aufs Bein. »Doch, das hast du.«
Er gab auf. Jodie hatte als Hauptfach Informatik, als
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