Der 50-50 Killer
den Telefonhörer ans Ohr hielt.
Es klingelte weiter an ihrem Ohr, und ihre Frustration wuchs mit jedem schrillen Ton.
Nimm ab, verlangte sie.
Ihre Nummer zu Hause war in Johns Mobiltelefon einprogrammiert. Sie sah ihn vor sich, wie er aufs Display schaute und wusste, dass sie es war, die anrief, und wie er überlegte, ob er den Anruf annehmen sollte. Zur Frustration gesellte sich jetzt Zorn.
Antworte mir.
Draußen vor dem Fenster sah sie, wie ihr Spiegelbild ein Glas Wein hob und einen weiteren Schluck nahm.
»Hallo«, sagte er.
Gott sei Dank. Jetzt, da er geantwortet hatte, ließ die Angst, die sie geplagt hatte, ein wenig nach. Doch der Zorn blieb. Sie stellte das Glas auf dem Tisch neben sich ab, vielleicht ein wenig laut.
»Du hast dir aber Zeit gelassen.«
»Tut mir leid. Ich musste in den Flur rausgehen. Ich bin schließlich bei der Arbeit.«
John hatte nie gern telefoniert, und das Schweigen anderer war ihm immer peinlich. So ließ sie es einen Moment andauern, um zu sehen, was er tun würde. Sie genoss es ein wenig, wie unangenehm es ihm war, dann sagte er:
»Du bist ja spät noch auf.«
»Ja, nicht wahr?«
Am anderen Ende des Zimmers hing eine Uhr, fast zwanzig nach zwei. Es war lange her, dass Eileen um diese Zeit auf eine Uhr geschaut hatte.
Als sie noch jünger war, war es öfter vorgekommen. Damals war sie gewohnheitsmäßig so lange wie möglich aufgeblieben und dann früh wieder aufgestanden, weil es einfach so viel zu tun gab. Auf seinem Totenbett würde man wohl kaum auf sein Leben zurückschauen und wünschen, man hätte mehr Zeit mit Schlafen verbracht. John war auch immer so gewesen. Er hatte die gleiche Tatkraft, und zum Teil war es das gewesen, was sie überhaupt zu ihm hingezogen hatte. Lange hatte ihre Beziehung eine Unkompliziertheit und einen natürlichen Rhythmus gehabt, die zu ihrer Überzeugung beigetragen hatten, dass sie gleichwertige Partner seien, die gut zueinander passten. Dass alles in Ordnung war.
Dieser Gedanke war richtig, wenn auch merkwürdig angesichts des Hasses, den sie jetzt auf seine Hingabe an den Beruf verspürte.
Während sie zusammen älter wurden, hatten die Dinge sich natürlich geändert. Während Eileens Tage morgens und abends weniger aktiv geworden waren, wurden Johns Arbeitstage immer länger. Er ging Stunden nach ihr zu Bett, und sie wachte am Morgen auf und fand die andere Seite wieder leer. Damals schien das nicht besonders wichtig zu sein, aber Johns Zusammenbruch hatte sie gezwungen, es noch einmal zu überdenken. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus brachte ihr die Tatsache, dass er plötzlich jeden Abend im gemeinsamen Bett lag, nur all die vielen Gelegenheiten zu Bewusstsein, an denen er nicht da gewesen war. Sie bekam allmählich das Gefühl, als habe sie das Bett pflichtschuldig die ganze Zeit für ihn warm gehalten, habe geduldig gewartet, während er sie vernachlässigte und persönlichen Zielen nachjagte. Ziele, die sie letzten Endes beide gefährdet hatten. Diese Zeiten hätten längst hinter ihnen liegen müssen.
»Es ist wirklich spät«, wiederholte er. »Ich dachte, du wärst schon schlafen gegangen.«
»Und deshalb hast du nicht angerufen? Du hast nicht gedacht, dass ich hier sitze und darauf warte, von dir zu hören?«
Voller Panik? Halb wahnsinnig vor Angst?
»Ich weiß nicht. Tut mir leid.«
»Du weißt doch, dass du mich anrufen sollst.«
»Ich hatte einfach keine Gelegenheit.«
Eileen spürte, wie sich ihre Kiefer aufeinanderpressten, als sie den Tonfall ihres Mannes erkannte. Sie stellte sich ihn dort vor. Er sah jetzt seitwärts in die Ferne, dachte sie, fuhr sich mit der Hand durch die Haare und wurde bereits von dieser Unterhaltung abgelenkt, versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren.
Auf all die anderen Dinge, die offenbar wichtiger waren als sie.
»Es ist einfach viel los hier«, sagte er. »Die ganze Zeit. Du weißt ja, wie es manchmal ist.«
»Ich erinnere mich genau, wie es manchmal ist.«
Sie kochte. Ein Gefühl, das sie noch nicht lange kannte, das ihr aber vertraut war. Es war während seiner Erholungszeit so weit gekommen, dass sie buchstäblich so wütend auf John gewesen war, als hätte er eine Affäre. Und in gewisser Weise war es auch so gewesen, nur war es eine Affäre mit seiner Arbeit gewesen, nicht mit einer anderen Frau. Doch in Eileen hatte es gebrodelt, und sie hatte diese Gefühle nur aus dem Grund zurückgestellt, weil er ihr Mann und dies ihr Leben war. Welche Fehler
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