Der 50-50 Killer
wahrscheinlich dachte, meine Einwände würden bei einem Mann, der da draußen im Schnee stand und eine schwierige, lange Suchaktion vor sich hatte, keine große Wirkung haben. Und natürlich hatte er recht.
»Na ja, das verstehe ich«, meinte Pete. »Aber wir nehmen an, dass hier das Leben seiner Freundin auf dem Spiel steht. Alles, was er uns sagen kann, wird uns helfen. Selbst wenn er sich nur daran erinnert, dass er irgendwo in einem Gebäude war.«
Mercer drehte sich um und sah mich an. Ich warf einen Blick auf die Karte und sah dann in Petes grimmiges Gesicht auf dem Bildschirm, hinter dem der Schnee herabrieselte. Meine Einwände kamen mir plötzlich trivial vor, und ich hatte nicht die Kraft, zu widersprechen.
»Okay.« Ich seufzte leise. »Ich rede mit ihm.«
4. Dezember
4 Stunden 30 Minuten bis Tagesanbruch
2:50 Uhr
Scott
Im Lauf der Nacht begann die Stimmung in Scotts Träumen umzuschlagen. Im Schlaf schien sein Verstand im Kampf mit sich selbst zu liegen. Etwas war mit ihm geschehen. Ein Teil seines Unterbewusstseins beharrte darauf, dass dieses Etwas hervorgeholt und untersucht werden musste, während ein anderer Teil immer vergeblicher versuchte, es zu vergraben und zu verstecken. An der Oberfläche waren seine Träume tröstlich, doch er spürte immer deutlicher, wie Gift aus der Tiefe aufstieg und an die Oberfläche kam.
Die glücklicheren Gedanken und Erinnerungen waren wie ein Haus aus Seidenpapier, dessen Fundament in einer Lache schwarzer Tinte stand. Nach und nach wurde alles dunkler.
In seinem Traum hatte ihn das Telefonklingeln geweckt, und während des Gesprächs war sein Bewusstsein noch von den letzten klebrigen Fäden des Schlafs umfangen. Am anderen Ende weinte Jodie. Als sie sprach, war ihre Stimme zittrig und schwach. Sie sagte ihm, was los war, was sie getan hatte. Er saß auf dem Bettrand und hörte zu. Dabei drehte er mit einer Hand am Kabel, das sich um seine Finger schlang. Er hielt inne und griff nach den gelben Vorhängen, zog sie zur Seite und zuckte vor dem Licht der frühen Morgensonne zurück. Zwanzig nach sechs. Es sah aus, als sei es schon warm, es würde heute heiß werden im Büro.
Das hätte doch wohl er sagen sollen, oder? Es war absurd, so wenig dabei zu fühlen. Er war immer der Geduldige in ihrer Beziehung gewesen – derjenige, der ruhig blieb und verständnisvoll reagierte –, doch das hier war lächerlich. Jodie hätte genauso gut im Bett hinter ihm schlafen können, anstatt ihn aus hundert Meilen Entfernung anzurufen, um ihm etwas zu sagen, was eigentlich das Schlimmste sein müsste, was er sich vorstellen konnte.
Er sagte: »Ich weiß es auch nicht.«
Autos fuhren vorbei. Die Welt draußen schien genauso ungerührt wie er. Er ließ den Vorhang los, und ein angenehmeres Halbdunkel verbreitete sich wieder im Schlafzimmer.
»Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, weil ich überlegt habe, was ich sagen könnte.«
»Hat wohl nicht funktioniert, oder?«
Sie verdiente das, aber er verspürte sogleich das Bedürfnis, sich dafür zu entschuldigen, dass er so scharf reagiert hatte. Tu’s nicht. Ein einziges Mal musste er diese Seite in sich unterdrücken.
»Nein, wahrscheinlich nicht. Ich hab dieses Gespräch geprobt, damit es verständlich wird. Aber da hab ich auch Mist gebaut, glaube ich, genau wie immer.«
Wenn sie sonst in solche Selbstvorwürfe verfiel, hatte er normalerweise den Wunsch, sie wieder aufzubauen. Doch das wäre hier fehl am Platz. Er würde die Situation nicht umdrehen und sie trösten, als sei sie diejenige, der Schmerz zugefügt worden war.
»Du hast überhaupt nicht geschlafen?«, fragte er.
»Nein, ich bin die ganze Nacht auf gewesen. Die meiste Zeit war mir übel.«
Er lachte nicht.
Sie sagte wieder: »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Na ja, das hast du schon mal gesagt.«
»Aber ich weiß nicht, was es sonst zu sagen gibt.«
Nichts, dachte er. Du musst es einfach immer wieder sagen, weil es erst mal alles so gut zusammenfasst. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Während der restlichen Unterhaltung umkreisten sie einander. Jodie fragte, ob ihre Beziehung zu Ende sei. Scott anwtortete, er brauche Zeit, um nachzudenken. In Wirklichkeit jedoch brauchte er Zeit, um etwas zu fühlen. Es überraschte ihn, dass er es so gut aufnahm. Im Allgemeinen war er ein ziemlich unsicherer Mensch, aber irgendwie schien ihm dies hier nicht das Ende der Welt zu sein. Sie hatte mit ihrem Geschäftspartner
Weitere Kostenlose Bücher