Der 7. Tag (German Edition)
wieder sah ich einen Wald vor mir. Ich glaubte,
ihn um Hilfe rufen zu hören. Vor meinem geistigen Auge sah ich ihn fliehen, um
sein Leben rennen.
Ich fuhr in sein Büro. Und
dort erwartete mich die größte Überraschung meines Lebens.
Als ich die exklusiven
Büroräume Unter den Linden betrat, schlug mir betretenes Schweigen entgegen.
Die sonst so freundliche Empfangssekretärin Rita beschäftigte sich
angelegentlich mit dem Telefon. Ich ging in Michaels Büro. Seine Sekretärin
Bettina stürzte ohne Gruß aus ihrem angrenzenden Sekretariatsraum. Ich schloss
die Tür zum Sekretariat und setzte mich an Michas Schreibtisch. In seinem
Tischkalender war für den Freitag nur ein Termin, um 12.30 Uhr, eingetragen:
Bommer.
Es klopfte.
„Herein“. Ulli stand in der
Tür und schaute mich irgendwie mitleidig an.
„Ulli, ich versuche
herauszubekommen, wo Micha sein könnte.“
„Ich weiß“, sagte Ulli und
trat hinter den Schreibtischstuhl auf dem ich saß. Er umarmte mich von hinten,
strich mir über den Kopf und sagte:
"Bille, du musst jetzt
ganz tapfer sein. Ich glaube es ist tatsächlich was passiert.“
„Natürlich ist etwas passiert“,
schrie ich hysterisch.
„Bille, hör‘ mir gut zu und
rege dich erst mal nicht auf: Es hat heute ein Mandant angerufen, der nach
seinem Geld gefragt hat. Es war auf dem Notaranderkonto von Michael. Angeblich
wollte er es letzte Woche überweisen. Wir haben das Konto überprüft. Das Geld
ist weg, aber nicht an den Mandanten überwiesen worden.“
Ich glaubte meinen Ohren
nicht zu trauen.
„Was willst du damit sagen,
Ulli?“
„Ich weiß es noch nicht,
bitte Bille, gib‘ uns Zeit, wir müssen das prüfen, “ versuchte Ulli mich zu
beschwichtigen.
„Ulli, wie viel Geld ist
verschwunden?“ fragte ich.
„Wir wissen es noch nicht,
Bille.“
„Red‘ nicht um den heißen
Brei herum, wie viel?“
„1,3 Millionen“, gestand Ulli
kleinlaut.
„Ulli, du glaubst doch nicht
im Ernst, dass Micha mit 1,3 Millionen durchbrennt. Damit kommt er nicht weit“,
sagte ich entsetzt.
„Nein, wir überprüfen jetzt
die anderen Konten“, sagte Ulli. Zitternd stand ich vom Schreibtisch auf.
Deshalb also die merkwürdig betretene Atmosphäre im Büro.
„Ulli, bitte ruf‘ mir ein
Taxi“. Ich konnte nicht mehr fahren. Mir waren die Knie weich geworden, ich
zitterte am ganzen Körper. Mein Michael soll Geld unterschlagen haben? Michael
war der integerste Mann, den ich mir habe vorstellen können. Natürlich, jeder
hat seinen Preis. Aber nicht 1,3 Millionen. So billig war Michael nicht.
Heulend fiel ich meiner
Mutter in die Arme.
„Das glaube ich nicht eine
Sekunde. Bille, du wirst sehen, dass sich alles aufklärt“, sagte meine Mutter.
„Ja“, schluchzte ich, „aber
wie? Wo ist Michael? Ich weiß, dass ihm etwas Schreckliches passiert ist.“
Und wieder sah ich vor meinem
geistigen Auge Michael irgendwo erschossen im Wald liegen.
Aber es sollte noch schlimmer
kommen.
Comos – Ausgabe 3/ 2010
Sybille Thalheim – Meine
Geschichte
2. Teil: Wie ich alles
verlor, was ich liebte
Mein Mann war verschwunden
und mit ihm offensichtlich Geld, das einem Mandanten gehörte. In den letzten
Sommertagen des Jahres 2007 torkelte ich wie eine Betrunkene durch die Tage.
Mir war abwechselnd heiß, kalt oder schlecht. Ich verstand meine Welt nicht
mehr, die bis zum 17. August die heile Welt einer glücklich verheirateten Frau
und werdenden Mutter im Berliner Villenviertel Zehlendorf war. Die Unwissenheit
und die bösen Vorahnungen brachten uns fast um. Wir, das waren meine 69jährige
Mutter, die in einer Einliegerwohnung unseres Hauses wohnte, mein Baby, das wir
so freudig erwarteten und ich, Sybille Thalheim, 36 Jahre alt. In den letzten
Tagen war ich um Jahre gealtert.
21. August 2007, mein Mann
war seit sechs Tagen verschwunden. Gabi Henke, Busenfreundin und Frauenärztin,
hatte mich für die ganze Woche krankgeschrieben. Noch war nichts in der
Öffentlichkeit bekanntgeworden. Am Mittag des 21. August klingelte es. Ulli
Henke, Berlins berühmtester Strafverteidiger, den seit vielen Jahren mit meinem
Mann Michael eine gute Freundschaft und ein gemeinsames Büro verbanden, stand
vor der Tür. Er sah jämmerlich aus.
„Oh Gott, Ulli, was ist
passiert?“ fragte ich.
„Lass mich erst mal
reinkommen“.
Ulli sank auf unsere
elfenbeinfarbene Couch.
„Kann ich einen Drink haben“,
fragte er.
Ich brachte ihm einen Whiskey
mit Soda, Böses ahnend. Ulli hat sich
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