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Der 7. Tag (German Edition)

Der 7. Tag (German Edition)

Titel: Der 7. Tag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
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beide nicht lesen. Ich glaube, in dieser Nacht habe ich
das erste Mal nach 30 Jahren wieder angefangen, an den Fingernägeln zu
knabbern. Ich hatte einen trockenen Mund, mein Herz klopfte so laut, dass Frau
Müller es hören konnte, meine Haare waren zerwühlt, weil ich sie ständig
raufte, ich fing an zu heulen. Dicke Tränen tropften auf das Buch. Ich stand
auf, holte Küchenkrepp, schnäuzte, wischte das Buch sauber und war trotzdem
nicht erleichtert.
    Wo ist er nur? Immer wieder
versuchte ich mir einzureden, dass sich morgen alles aufklären würde. Ich
lauschte in die frühmorgendliche Stille. Es waren keine Autogeräusche zu hören,
keine Schritte, nicht einmal das Rascheln von Blättern. Es war absolut
windstill und selbst jetzt, frühmorgens um halb fünf, brütend heiß im Haus. Die
Sonne hatte seit Wochen gnadenlos die dicken Mauern der alten Villa erwärmt.
Von kurzen Wärmegewittern abgesehen, hatte es seit Tagen keine Abkühlung
gegeben.
    Ich musste mich beschäftigen.
Also tigerte ich durch die Wohnung, setzte mich in das Kinderzimmer, das wir
demnächst einrichten wollten, und zwang mich, meine Gedanken auf Tapeten und Gardinen
zu konzentrieren. Der Blick von Frau Müller sagte mir, dass es sinnlos war.
    In Michaels Arbeitszimmer
ließ ich mich in seinen geliebten grünen Ledersessel an dem großen englischen
Schreibtisch fallen und tat etwas, was ich ebenfalls noch niemals in meinem
Leben getan hatte: Ich begann in seinen Unterlagen zu wühlen.
    Außer dem alten Fliegerpass
seines Großvaters, Bildern seiner verstorbenen Eltern, privaten American
Express-Belegen, Schnipseln unserer diversen Reisen und vergilbten, leeren
Notizzetteln fand ich nichts. Zumindest nichts, was mir einen Hinweis auf
Michaels Aufenthaltsort gegeben hätte.
    Ich schaute die Schnipsel
durch. Ah, die Eintrittskarten ins Epcot-Center, unsere erste gemeinsame Reise,
bevor ich für ein Jahr nach Atlanta gegangen war.
    Und hier die Visa-Quittung
für den Sebring aus Atlanta, der Mietwagen, in dem Michael mir auf der
Interstate in Georgia einen Heiratsantrag gemacht hatte.
    Da war die handgeschriebene
Speisekarte der Strandbar in der Karibik, wo wir die Nacht durchgetanzt hatten.
    Die Eintrittskarten für das
Empire State Building erinnerten mich an New York, wo wir im ersten Jahr
unserer Ehe die Weihnachtseinkäufe gemacht hatten. 
    Ich fand die Fahrkarten der
Star Ferry in Hongkong, das wir vor zwei Jahren besucht hatten.
    Verdammt, wann kommt er endlich?
Was ist ihm passiert?
    Frau Müller fand den
Bleistift mit dem Sombrero besonders lustig – Mexiko, ich erinnerte mich an die
herrliche Woche im Las Brisas. Wir hatten einen Pool ganz für uns allein, mit
einem grandiosen Blick über die Bucht von Acapulco. Jeden Morgen schwammen wir
dort mit den Hibiskusblüten um die Wette.
    Michael, verdammt, wo bleibst
du?
    Es wurde hell, draußen
zwitscherten die Vögel. Ich zog mir einen Jogginganzug über, nahm mein Handy,
nicht ohne den Ladezustand vorher überprüft zu haben und ging in den Garten.
Aber auch mein Garten konnte mich nicht beruhigen.
    Mutti öffnete das Fenster.
„Ist er da“, fragte sie.
    „Nein, sagte ich.“
    Ich setzte mich bei Mutti auf
die Terrasse und fing wieder an zu heulen. Das hatte Michael noch nie getan. Er
war der vorbildlichste Ehemann, den man sich vorstellen konnte. Ich schwöre es,
Michael hat neben mir nie eine andere Frau gehabt. Was war nur passiert?
    Mutti brachte Kaffee auf die
Terrasse.
    „Wir müssen die Polizei
rufen, Kleines“, sagte sie.
    Ich knabberte an einem Toast,
bekam aber selbst den kleinsten Krümel nicht herunter. Okay. Ich stand auf,
holte das Telefon. Auf dem Polizeirevier wurde ich von Pontius zu Pilatus
verbunden.
    „Seit wann vermissen Sie
ihren Ehemann?“ fragte endlich eine nette, ältere Stimme.
    „Seit gestern Abend!“
    „Bitte, gute Frau, det ist
doch keen Grund ihn vermisst zu melden. Haben Sie die Krankenhäuser angerufen?“
    „Ja“, sagte ich kleinlaut,
„auch die Feuerwehr. Mehrmals. Es ist kein Mann, der auf die Beschreibung
passt, irgendwo aufgetaucht.“
    „Na, nun regense sich mal
nicht uff“, sagte der Polizist. „Der ist bestimmt bald wieder da. Mit ‚nem
dicken Kopf und ‚nem schlechten Gewissen.“
    „Mein Mann trinkt nicht“,
sagte ich.
    „Et jibt keene Männer, die
nich mal eenen übern Durst trinken“, ließ mich der Polizist an seiner Weltsicht
teilhaben. „Wenna morjen nicht wieda da is, dann solltense ne

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