Der Agent
immer noch nicht wieder zu ihm umdrehen und auch nichts sagen wollte, räusperte er sich.
„Hören Sie …“, begann er.
„Sie denken wohl, das gefällt mir, wie?“ unterbrach sie ihn leise und wütend, ohne sich umzudrehen. „Sie glauben wohl, ich tue das alles nur zu meinem eigenen Spaß?“
„Warum tun Sie es dann?“ fragte Bill.
Daraufhin drehte sie sich endlich wieder um. „Aus vielen Gründen, die Sie kaum verstehen würden. Aber ich werde mich bemühen, Ihnen wenigstens ein paar davon begreiflich zu machen. Verstehen Sie etwas von Anthropologie?“
„Nein“, antwortete er steif. „Mein Gebiet ist Maschinenbau, das wissen Sie doch. Warum, was verstehen Sie denn davon? Ihr Gebiet ist doch Landwirtschaft, oder?“
„Ich habe außerdem einen angeschlossenen akademischen Grad in kultureller Anthropologie!“ erwiderte sie heftig.
„Einen angeschlossenen akademischen Grad …“, wiederholte er. „Dann sind Sie gar keine Landwirtschaftspraktikantin?“ Er bemühte sich vergebens, ihren Gesichtsausdruck in der Dunkelheit zu erkennen. Er war verwirrt. Er wäre bereit gewesen, zu beschwören, daß sie nicht älter war als er.
„Doch, das bin ich. Aber ich habe eine Spezialausbildung erhalten und beschleunigte Studienkurse mitgemacht, ein Programm, das gleich nach der Grundschule anlief. Zum Beispiel habe ich auch noch ein Assistenten-Diplom in Pharmazie und ein provisorisches Forschungszertifikat in Xeno-Biologie …“
„Pfff“, machte Bill unwillkürlich und starrte sie an. Offenbar gehörte sie zu diesen Superhirnen, die daheim auf der Vorschule für die Universität als Treibhaustypen bezeichnet wurden. Diese Studenten hatten soviel auf dem Kasten, daß ihnen ein halbes Dutzend Extrastudienfächer gestattet wurde. Nun, das war wirklich reizend. Das hatte gerade noch zu allem übrigen gefehlt, daß er sich nun ganz und gar wie jedermanns Trottel vom Dienst vorkam in dieser verfahrenen dilbianischen Situation.
„Was?“ fragte Anita verwirrt.
„Nichts. Erzählen Sie weiter“, knurrte er.
„Nun, ich versuche, Ihnen etwas zu erklären“, fuhr sie fort. „Also, ein deutscher Anthropologe namens Gusinde erforschte die Yaghanen, einen fast ausgestorbenen Indianerstamm am äußersten Zipfel von Südamerika, und fand heraus, daß die Gesetze, nach denen diese Indianer lebten, nicht von irgendeiner besonderen Autorität auferlegt und durchgesetzt wurden, sondern von der ‚Allgemeinheit’, wie er es nannte, also der Gruppe als Ganzem. Es mußte jedoch einige Einzelpersonen geben, die für diese Allgemeinheit als Sprecher fungierten, und diese Sprecher wurden bei den Yaghanen tiamuna genannt. Gusinde beschreibt diese tiamuna als Männer, die wegen ihres Alters, makellosen Charakters, ihrer langjährigen Erfahrung und geistigen Überlegenheit so viel moralischen Einfluß gewonnen haben, daß es einer eigentümlichen Vorherrschaft gleichkommt.’“ Anita hielt inne und sah Bill erwartungsvoll an.
Bill hatte keine Ahnung, was dieser Vortrag mit dem Thema, um das es ging, zu tun hatte, und das äußerte er auch.
„Nun, haben Sie denn noch nicht von den Großvätern der Dilbianer gehört?“ fragte Anita. „Diese Großväter sind die tiamuna der Dilbianer. Die gesamte dilbianische Kultur ist eine sehr individualistische – mehr noch als unsere menschliche Kultur. Aber sie hält zusammen durch ein sehr strenges System inoffizieller Kontrollen. Es sieht nur so aus, als wäre es einfach, bei den Dilbianern neue Ideen einzuführen. Tatsächlich droht aber jede Neuheit, dieses bestehende Kultursystem zu sprengen, und deshalb wird sie abgelehnt. Es gibt nur eine Möglichkeit, etwas Neues einzuführen, und zwar, indem man einen Großvater dazu bringt, zuzustimmen, daß dies allgemein für die Dilbianer eine gute Sache sein könnte. Das heißt, jeglicher Forschritt müßte von einem Großvater unterstützt werden, um durchgesetzt werden zu können. Und da die Großväter alt und sehr konservativ sind, dürfte es schwierig sein, ihre Zustimmung zu irgendeiner Veränderung zu erringen. Aber das spielt jetzt keine Rolle. Worauf es ankommt, ist, daß man einen tiamuna finden muß, der sich für die von uns geplanten Neuerungen einsetzt!“
„Aber hier in Sumpfloch oder im Banditental gibt es keine Großväter“, erklärte Bill.
„Das ist es ja gerade!“ sagte Anita eindringlich. „Fast alle Dilbianer leben oben in den Bergen, wo es Großväter gibt und die Großväter alles beaufsichtigen. Nur
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