Der Albtraum meiner Kindheit und Jugend - Zwangseinweisung in deutsche Erziehungsheime
wir sie draußen hinter dem Zaun sahen, liefen wir eilig, ohne Furcht auf sie zu. Es stank nach ihren selbstgedrehten Zigaretten, die auch, wie die dicke Wurst, in Zeitungspapier eingedreht war, Papierossi nannten sie diese „Stinker“.
Am nächsten Morgen sahen wir die russischen Panzer und Panzerspähwagen. Auch russische Soldaten marschierten hinter diesen Ungetümen. Es gibt wieder Krieg! Meine Schwester Elke und ich und auch die anderen Kinder waren davon fest überzeugt. Und alle standen morgens an der Straße und sahen diesem Geschehnis zu. Es geht Richtung Berlin, sagten die Erwachsenen. Wir hörten das voller Entsetzen. Es war der 17. Juni 1953, ein Aufstand der Arbeiter in Ost-Berlin.
Ich war jetzt zehn Jahre alt. Wir Kinder haben davon nichts weiter mitbekommen. Nach ein paar Tagen war der Spuk vorbei, und wir waren froh, dass es keinen Krieg gab. Die Straßen waren von den Panzern aufgerissen. Die ganze Bahnhofstraße bis zu unserer Schule war nicht mehr befahrbar. Die wenigen Autos, die es damals gab, mussten einen Umweg fahren. Wir liefen sowieso alle Wege zu Fuß.
Eines Tages durften wir unsere Mutter besuchen. Diese Mitteilung bekamen wir kurzfristig. Eine Begleitperson ging mit uns zum Bahnhof Biesenthal; wir fuhren nach Biesdorf östlich von Berlin. Es war für uns eine große Freude, schon über ein Jahr war vergangen und wir hörten nichts von unserer Mutter. Für uns glich es einer Ewigkeit. Nie hätten wir es gewagt, danach zu fragen. Jetzt durften wir sie endlich wiedersehen.
Als wir ankamen, brachte man uns in Muttis Zimmer, was für eine Freude, was für ein Wiedersehen! Mutti war gesund und sah aus wie immer, auch etwas erholt. Das haben wir gleich erkannt. Mutti war ganz normal, was sollte sie nur hinter diesen hohen Mauern? Und warum war sie hier nur eingesperrt?
Mutti teilte sich das Zimmer mit einer Frau, die rote Haare hatte, die Haare lang und in Locken gewellt, diese Frau sah sehr gut aus.
Mutti flüsterte uns zu: „Das ist eine Nichte von einem Berliner Komponisten, keiner weiß, warum sie hier ist.“
Fragen haben wir uns damals nur kurz gestellt, wieso und warum ...
Wir waren erst mal froh, unsere Mutter zu sehen, und deshalb fiel uns der Abschied auch nicht ganz so schwer. Jetzt wussten wir, Mutti lebt und es würde bestimmt ein Wiedersehen geben. Wir gingen von diesem schrecklichen Ort mit guten Hoffnungen wieder ins Waisenhaus zurück.
In diesem Kinderheim bekam ich bald Beicht- und Kommunions-Unterricht. Die Beichte musste ich beim Pfarrer ablegen, kniend hinter einem roten Vorhang. Im Beichtstuhl sagte ich den im Beichtunterricht gelernten Spruch auf, nur nicht falsch den Spruch aufsagen, dachte ich. Und wie in Traum faselte ich alles, was ich sagen musste. Dabei hatte ich mir ein paar Sünden ausgedacht, die ich dem Beichtstuhl vortragen konnte, denn sonst wusste ich nicht, was ich so Schlimmes getan haben sollte. Vielleicht habe ich mal die Gänse, die ich ab und zu hüten musste, etwas zu doll verhauen! Diese Biester wollten einfach nicht gehorchen. Oder ich habe mal innerlich geflucht, weil wir so lange im Keller sitzen mussten, um die Gänsefedern zu zupfen und dabei nicht niesen durften, obwohl wir immer etwas von den Federn in die Nase bekamen. Oder wenn wir eimerweise Kartoffeln schälten und unsere Händchen dabei fürchterlich froren. Oder ich habe geflucht weil wir Heimkinder im Wald, bei Wind und auch bei schlechtem Wetter Kienäpfel, säckeweise für den Winter sammeln mussten, bis uns der Rücken so wehtat, dass wir kaum noch gerade laufen konnten. Ja, wir haben oft geflucht, so am Schlachttag, als das geschlachtete Schwein am Haken hing und wir die Eimer unter die Schweinehälften stellten, damit das Blut gesammelt werden konnte. Wir kamen aus der Stadt und kannten das alles nicht. Wenn uns der Rücken wieder weh tat, wenn das Schweineblut im großen Waschkessel gerührt werden musste, dann haben wir geflucht und als wir dieses Gerührte mit dicken Graupen gekocht, am selben Abend auch noch zum Essen vorgesetzt bekamen, haben wir uns geekelt und die ganze Welt verflucht.
Auch wenn wir in diesem Waschkessel mit unseren kleinen Armen unsere große und kleine Wäsche erst im heißen Wasser, einen Tag später die bunte Wäsche im kalten Wasser stampfen und auf dem Waschbrett waschen mussten. War das eine Sünde zu fluchen, wenn uns die Kräfte am Waschbrett verließen und dabei meine Hände vom Schrubben sehr wehtaten.
Oder, wenn wir essen mussten,
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