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Der Amerikaner - The American

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Titel: Der Amerikaner - The American Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Britton
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verzichtet, Harrison darum zu bitten, ihr einen seiner Agenten zur Verfügung zu stellen. Stattdessen hatte sie sich von ihm eines der am Sammelpunkt geparkten Autos ausgeliehen. Ohne Begleiter vom FBI hatte sie, eine Analystin der Antiterroreinheit des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes, im Bundesstaat Virginia keine größeren Rechte als irgendein ganz normaler Bürger.
    Jetzt stand sie in der Damentoilette einer Tankstelle, die direkt gegenüber von Milbery Realty lag, dem Büro der Grundstücksund Immobilienmaklerin Nicole Milbery. Sie blickte in den Spiegel und glaubte eine Frau zu sehen, die nach einem Verkehrsunfall aus einem Autowrack gerettet worden war. Aber womöglich hätte sie in diesem Fall weniger schlimm ausgesehen. Die ausgeliehene blaue Arbeitshose war feucht, zerrissen und schmierig, der Pullover an mehreren Stellen versengt, ihr Haar verfilzt und dreckig. Ihre verstopfte Nase kündigte eine Erkältung an, aber wahrscheinlich empfand sie deshalb auch ihren unangenehmen Geruch nicht so sehr.
    Am meisten erschreckten sie ihre Augen, in denen sich die entsetzlichen Erfahrungen spiegelten, die sie kürzlich gemacht hatte. Sie wirkte verängstigt, gerade jetzt, wo es auf Selbstvertrauen und Zuversicht ankam, zumindest für die nächsten paar Stunden. Danach konnte sie sich ihren Gefühlen überlassen, und sie freute sich schon darauf, die Maske ablegen zu können. Nachdem sie sich gewaschen und ein bisschen an ihrer Frisur herumgezupft hatte, verließ sie die Toilette, aber es kam ihr so vor,
als sähe sie nur unwesentlich besser aus. Sie kaufte zwei große Becher Kaffee zum Mitnehmen und wich dabei den neugierigen Blicken des Angestellten aus.
    Sie ließ das Auto an der Tankstelle stehen, überquerte die Straße und schaute auf die Uhr. Fast halb zwölf. Eigentlich hätte es ihr besser gefallen, wenn das Gespräch schon früher begonnen hätte. Aber es war unglaublich zeitaufwändig gewesen, Lindsay Hargroves Aufenthaltsort herauszufinden. Schließlich hatte sie es geschafft, in Clarksburg, West Virginia, ihre Schwester zu erreichen, bei der Hargrove die letzte Woche verbracht hatte. Jetzt war sie auf der Rückfahrt nach Virginia, hatte aber unglücklicherweise kein Handy dabei. Immerhin hatte ihr die Schwester von Hargroves fester Absicht erzählt, nach ihrer Rückkehr im Büro ihrer vermissten Chefin vorbeizuschauen.
    Und deshalb war sie jetzt hier. Es war weit hergeholt, von dieser Frau nützliche Informationen zu erhoffen, aber immer noch besser, als gar keine Spur zu haben. Ein Gespräch mit Hargrove, deren Name auf der Vermisstenanzeige gestanden hatte, die ins TTIC gefaxt worden war, schien ihr aussichtsreicher als eines mit dem Ehemann der Maklerin, bei dem unwahrscheinlich war, dass er den Kunden seiner Frau begegnete. Dagegen arbeitete Hargrove seit vier Jahren für Nicole Milbery. Sie war schon im Büro des Sheriffs vernommen worden, aber vielleicht wusste sie mehr, als man annahm. Kharmai hoffte, dass man ihr beim Sheriff einfach die falschen Fragen gestellt hatte.
    Es dauerte nicht lange, bis ein weißer Nissan Altima vor dem Büro vorfuhr und eine schon ältere Frau überraschend flink aus dem Auto sprang. Hargroves Lächeln verwandelte sich schnell in eine besorgte Miene, als sie Kharmais bemitleidenswerte äußere Erscheinung sah. »Mein Gott«, sagte sie geschockt. »Was ist denn mit Ihnen passiert, meine Gute?«

    Hargrove schloss die Tür auf. Sie war eine unförmige, auf die siebzig zugehende Frau, die aber für ihr Alter eine überraschend glatte Haut hatte. Ihre Umgangsformen waren angenehm, und Kharmai mochte sie sofort und sah keinen Sinn darin, sie anzulügen. »Mein Name ist Naomi Kharmai, Mrs Hargrove. Ich war heute Morgen an der Chamberlayne Road.«
    Hargrove riss die Augen weit auf und bot Kharmai einen Platz an, worauf diese sich mit einem der Kaffeebecher revanchierte, den die Frau dankbar annahm. Sie fragte nicht, für wen Kharmai arbeitete oder woher sie ihren Namen hatte. »Bei dieser Razzia, über die ständig im Fernsehen berichtet wird? Sie waren dabei?«
    Kharmai nickte. »Leider.«
    »In den Nachrichten wurde über nichts anderes berichtet …« Dann fügte sie hoffnungsvoll hinzu: »Sind sie bei der Suche nach Nicole weitergekommen?«
    Kharmai brachte es nicht über sich, ihr zu erzählen, dass Nicole Milberys Leiche in einem flachen Graben in der Nähe der Farm gefunden worden war, zusammen mit einem roten Ford Escape, der im Unterholz versteckt und

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