Der amerikanische Investor (German Edition)
frisch würde er sich später machen. Von heute ab würden nur noch klare Gedanken seine Tage beherrschen. Vielleicht sollte er deshalb heute auch etwas anderes anziehen.
Mit zwei Fingern zupfte er an seinem T-Shirt und sah an sich hinunter. Dass er keine Schuhe trug, war noch am verzeihlichsten, aber die Hose hätte er bereits vor einer Woche wechseln können und das ausgeblichene T-Shirt hätte längst in den Müll gehört. Er könnte doch auch mal wieder sein Jackett anziehen und sich einen der Seidenschals, die er von seiner Großmutter geerbt hatte, um den Hals binden. Richtig feierlich würde er sich heute Abend kleiden und dann würde er seiner Frau vor den Kindern verkünden, dass er beschlossen habe, von heute ab bis zur endgültigen Klärung des Wohnungsproblems keinen Alkohol mehr zu trinken. Aber war es nicht übertrieben, diesen Beschluss gleich an die große Glocke zu hängen? Vielleicht wäre die Wirkung noch viel größer, wenn er sich heute Abend einfach, statt eines Glases Wein, ein Glas Wasser aus der Küche holen würde. Bis in eine ungewisse Zukunft hinein würde er sich jetzt jeden Tag, immer wenn die Kinder aus der Schule kamen, eine Flasche Wasser für den Abend in das Eisfach stellen.
Er ballte kurz die Fäuste. Was sie dadurch an Geld sparten! Aber das war nicht das Hauptsächliche. Hauptsächlich war nur, dass er seine Frau heute Abend überraschen wollte. Zuerst würde sie nur verblüfft auf das Glas Wasser blicken, und dann würde ihr erst auffallen, wie hübsch er sich für sie gemacht hatte und wie überaus angenehm er duftete. Vielleicht wäre sogar die Folge, dass er, noch in derselben Stunde, in ihr eine gar nicht mehr so gewöhnliche Begehrlichkeit erwecken würde. Auf jeden Fall ließe sich so wieder ganz anders miteinander sprechen. Weißt du, würde er später sagen und einen Schluck von seinem eiskalten Wasser nehmen, es fiele mir noch viel leichter, nichts zu trinken, wenn du dir meine Gedanken und Vorschläge zu unserem Wohnungsproblem etwas gnädiger, mit dem nötigen Respekt und dem nötigen Verständnis, und ohne dabei immer gleich wie eine Geistesgestörte in Rage zu geraten, wenigstens anhören würdest. Ich gebe ja zu, würde er fortfahren und sich mit größter Gelassenheit zurücklehnen, dass sich unter meinen Ideen auch mal die eine oder andere etwas irrige verbergen mag. Andererseits ist mir deine sture Haltung hinsichtlich unseres Problems auch nicht immer zugänglich. Ohne auch nur das Geringste an dir kritisieren zu wollen, verstehe ich zum Beispiel nicht, weshalb du so vehement auf dieser großen Wohnung beharrst, wo du doch eigentlich so gut wie nie da bist. Auch du musst doch zugeben, dass ich mich in diesem Punkt, obwohl mich ein Umzug in eine kleinere Wohnung doch sehr viel mehr als dich einschränken würde, wesentlich kompromissbereiter zeige. Ich würde gar nicht so weit gehen, zu sagen, dass hier Flexibilität gegen starres Prinzip steht, vielmehr vermute ich hinter deinem Handeln Beweggründe, die dir selbst bis zu diesem Moment noch gar nicht bewusst waren. Wahrscheinlich fürchtest du dich schlicht vor der größeren Nähe, mit der wir uns in einer kleineren Wohnung begegnen würden.
Er senkte den Kopf und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Das wäre vielleicht doch keine gelungene Rede für den heutigen Abend. Nach dem gestrigen sollte doch der heutige Abend ein Versöhnungsfest werden. Warum führte er seine Frau, wenn die Kinder eingeschlafen waren, nicht einfach zum Essen aus? Aber er trank ja nichts mehr. Allein die Vorstellung, sich gleich am ersten alkoholfreien Abend zwischen zahlreiche, fröhliche Menschen in ein Restaurant zu setzen und dem Kellner vorab zu vermitteln, dass er doch bitte zur Rechnung bloß keinen Schnaps servieren solle, spannte ihn jetzt schon an. Außerdem musste er, bevor er sich wieder mit seiner Frau vertrug, ihr unbedingt noch sagen, dass ihr gestriger Eindruck, er würde der fast hundert Jahre alten Frau etwas Schlechtes wünschen, ihn nicht nur schwer getroffen hatte, sondern dass er ihn auch als äußerst ungerecht empfand. Wenn er den Verdacht, den seine Frau gegen ihn hegte, gegen sie hegen würde, er wüsste doch gar nicht mehr, wie er sie ansehen sollte. Vermutlich wäre ihm schon der geringste Anlass für eine Trennung willkommen.
Wieder fühlte er Schweiß auf seiner Stirn ausbrechen. Was wusste seine Frau denn schon? Von den Saharawinden hatte er ihr doch hoffentlich wirklich nichts erzählt, und
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