Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
Vom Netzwerk:
Staaten. Hinweise, die zur Ergreifung des Mannes führen, können bei jeder Polizeidienststelle sowie unter der Rufnummer …«
    Wildes Hupen.
    Ein Lkw rauschte an mir vorbei, in Haaresbreite. Ich trieb zwischen den beiden Fahrspuren wie eine taumelnde Motte zwischen zwei Straßenlaternen. Erst, als ich fast gegen die Leitplanke gefahren wäre, gab ich nach und lenkte den Volvo auf einen Rastplatz. Hinter einem Lkw kam ich zum Stehen.
    Meine Finger wollten nicht aufhören zu zittern.
    Langsam stieg ich aus, tat ein paar Schritte an der Luft und atmete. Irgendwann stieg ich wieder ein, lehnte meinen Kopf an die Scheibe und starrte in die schwarze Nacht, bis ich schließlich vor Erschöpfung einschlief.
    In der Morgendämmerung erwachte ich. Der Lkw vor mir ließ mit unheimlichem Dröhnen seine Maschinen an und rollte schwerfällig davon. Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen, sah mich nach der Tankstelle um und machtemich auf den Weg, mir einen oder besser zwei Becher Kaffee zu holen.
    Am liebsten hätte ich weitergeschlafen, bis an mein Lebensende. Ein dicklicher Mann mit einer Schirmmütze, der für diese unwirtliche Stunde geradezu pervers gut gelaunt war, reichte mir die beiden Becher und wünschte mir »einen wunderschönen Tag noch«.
    Ich stellte mich vors Auto und trank den Kaffee in kleinen Schlucken. Er war heiß und stark. Nach dem ersten Becher stieg ich ein und fuhr weiter. Fürs Erste blieb ich auf der rechten Spur. In großen Zügen trank ich den zweiten Becher Kaffee.
    Hinter dem Wald ging die Sonne auf, die Schatten der Bäume lagen wie lange Lulatsche auf den Wiesen und auf der Fahrbahn. Über die Brücke der Deutschen Einheit gelangte ich nach Thüringen. Obwohl ich in meinem früheren Leben sicherlich öfters die ehemals deutsch-deutsche Grenze passiert hatte, kam mir die ungehinderte Fahrt von West nach Ost wie ein kleines Wunder vor.
    Der Fahrbahnbelag wechselte von einer Endlos-Teerdecke zu Beton-Fertigteilen. Mir traten Tränen in die Augen. Dieses rhythmische Rattern unter den Rädern besänftigte mich wie ein Wiegenlied.
    Eine Birkengruppe stand links neben der Autobahn, weiß leuchteten die Stämme. Der Boden wurde hier offenbar sandiger. Graugrün und samtig lagen die ersten Roggenfelder im Morgensonnenschein. Zwischen den mittleren Leitplanken der Autobahn wuchs ein rot-weiß-gesprenkeltes Band. Das Rote war sicherlich Mohn, soviel wusste ich. Aber wie hießen die weiß blühenden Pflanzen? Anouk hätte sie mir sicherlich sofort benennen können.
    Ich schluckte.
    Anouk.
    Ihr weißes Gesicht auf weißen Laken. Ihre Eltern hielten mich für einen Mörder. Die Polizei fahndete nach mir.
    Mir wurde schwindelig. Aber ich durfte nicht schon wieder anhalten. Ich würde zu viel Zeit verlieren. Mit 180   Sachen düste ich gerade an Leipzig vorbei. Wie in Trance sagte ich mir pausenlos das Wort »Magdeburg« laut vor. So konnte ich mich allmählich wieder etwas beruhigen.
    Die Sonne war verschwunden, der Himmel hatte sich verdunkelt, wie eine Bühne, deren Lichter man gelöscht und deren schwere Vorhänge man zugezogen hatte. Wind war aufgekommen und türmte Wolkenberge auf, bleigraue, aschene, fast schwarze. Nun konnte es nicht mehr lange dauern, bis Regen fallen würde.
     
    Die Schilder kündigten die Ausfahrt Magdeburg an. Ich setzte den Blinker, fuhr ab.
    Mit einem Mal war mir alles vage vertraut. Wenzlow hatte mir gesagt, dass einer unserer Unterauftragnehmer, der die Kabinen für uns baute, seinen Sitz in Magdeburg hatte. Also musste ich schon mehrfach hier gewesen sein. Ich überquerte die Elbe und nahm die Ausfallstraße Richtung Osten. Nach einigen Kilometern bog ich rechts ab, fuhr durch eine Unterführung, wieder nach links.
    Erinnerungsfragmente tauchten aus dem Nichts auf. Sie hatten eindeutig etwas mit diesen Straßenzügen zu tun. Im Grunde waren es nicht Erinnerungs-, sondern
Wissens fragmente
. Ein Teil von mir
wusste
offenbar ganz genau, an welchen Kreuzungen ich in welche Straßen einzubiegen hatte. Unvermittelt kamen mir Glaubenssprüche aus dem Zen-Buddhismus in den Sinn, die ich für meine Situation abwandelte: »Nicht ich fahre, es fährt.«
    Wie konnte mir diese Stadt nur dermaßen vertraut sein? Ich rief mir meinen Lebenslauf ins Gedächtnis und suchtenach einem Hinweis darauf, dass ich womöglich auch einmal eine längere Phase meines beruflichen Werdegangs in Magdeburg verbracht hätte. Oder hatten bereits die paar Besuche bei unserem Unterauftragnehmer dazu geführt,

Weitere Kostenlose Bücher