Der Anfang aller Dinge: Roman (German Edition)
sie hervor. Da ihre Beine nicht so standhaft waren, wie sie sein sollten, setzte sie sich rasch wieder hin. Sie war dem gefährlichen Abgrund näher, als ihr lieb war. Höchste Zeit, ein paar entschiedene Schritte zurück zu machen. »Spendierst du mir noch einen Hot Dog?«, bat sie ihn lächelnd und ignorierte standhaft das Kribbeln, das ihr immer noch über die Haut fuhr. »Ich bin am Verhungern.«
Der Rest des Spiels bestand vorwiegend aus gekonnten Abwehrtechniken. Liv hatte alle Mühe, sich weiterhin auf das Spielgeschehen zu konzentrieren. Zu sehr nahm sie Thorpes Nähe in Anspruch, die pulsierende Begierde, die er in ihr entfacht hatte, und die Tatsache, dass ihm das so mühelos gelang. Sie sah seine Hände und dachte unwillkürlich
an seine rauen Handflächen. Sie sah seine muskulösen Arme, in denen sie sich schwach und geborgen fühlte. Sie wollte nicht schwach sein. Schwäche bedeutete Verletzbarkeit. Sie sah seinen Mund und wusste, wie leicht dieser sie verführen konnte. Verführbarkeit, ermahnte sie sich, resultierte aus Schwäche und Verletzbarkeit. Seine Augen waren intelligent, klug und sahen zu viel. Je mehr er sah, desto größer wurde das Risiko, dass es ihm gelang, sie gefühlsmäßig an sich zu fesseln.
Sie hatte sich schon einmal auf dieses Risiko eingelassen. Und trug noch immer schwer an den Narben, die sie damals davongetragen hatte. Jahrelang hatte sie in dem Glauben gelebt, dass sie sich ihren Seelenfrieden nur dadurch bewahren könnte, indem sie sich zurückzog. Allmählich wurde ihr klar, dass Thorpe dies ändern könnte. Zum ersten Mal begriff sie, dass sie Angst vor Thorpe hatte – Angst davor, was er ihr bedeuten könnte.
Freundschaft, rief sie sich in Erinnerung. Mehr als das würde sie nicht zulassen. Nur eine simple Freundschaft. Die letzten beiden Innings verbrachte sie damit, sich davon zu überzeugen, dass das möglich sei.
»Wir haben also gewonnen«, sagte Liv mit einem Blick auf die riesige Anzeigetafel. »Fünf zu drei.« Sie rieb den Foul-Ball zwischen den Handflächen.
»Ach, jetzt sprichst du also von wir , wie?«, gab Thorpe grinsend zurück und zupfte an einer ihrer Haarsträhnen. »Ich dachte, du seist für Boston.«
Liv lehnte sich zurück und legte die Füße auf die Absperrung, während die Zuschauer in einem bunten Strom das Stadion verließen. »Das war bevor ich die ausgeklügelten Taktiken dieses Spiels begriffen hatte. Weißt du, ich finde es immer wieder erstaunlich, wie irreführend das Fernsehen sein kann. In Wirklichkeit ist dieses Spiel viel schneller und viel komplexer, als ich mir das bislang vorgestellt hatte. Kommst du oft hierher?«
Thorpe beobachtete, wie Liv den Ball von einer Hand in die andere rollen ließ und dabei das Spielfeld studierte. »War das ein Wink mit dem Zaunpfahl?«
»Nur eine ganz einfache Frage ohne Hintergedanken«, gab sie cool zurück.
»So oft ich kann«, antwortete er, immer noch grinsend. »Das nächste Mal schauen wir uns ein Nachtspiel an. Da herrscht eine völlig andere Atmosphäre.«
»Ich habe damit nicht andeuten …«
»T.C.!«
Liv und Thorpe drehten sich gleichzeitig zu dem Mann um, der sich durch die Sitzreihen auf sie zuschob. Er war klein und untersetzt, mit eisgrauen Haaren und einem Gesicht, dessen Falten und Furchen von einem intensiven Leben zeugten, und das die gebogene Nase und das eckige Kinn nur noch interessanter machten. Thorpe stand auf und ließ eine ungestüme Umarmung mit heftigem Schulterklopfen über sich ergehen.
»Boss, alter Haudegen, wie geht’s immer so?«
»Prächtig, prächtig. Kann mich nicht beklagen«, dröhnte der Mann und machte einen Schritt zurück, um Thorpes Gesicht einer eingehenden Musterung zu unterziehen. »Mensch, Junge, du siehst unverschämt gut aus.« Wieder sauste eine fleischige Hand auf Thorpes Schulter nieder. »Ich seh’ mir immer noch jeden Abend mit Genuss an, wie du diesen Politikern die Hölle heiß machst. Ja, ja, du warst immer ein forscher Bursche, der sich kein X für ein U vormachen ließ.«
Liv blieb sitzen und beobachtete schweigend die Begrüßung der beiden Männer. Dass der Mann Thorpe »Junge« und »Bursche« nannte, fand Liv faszinierend, zumal Thorpe gut einen Kopf größer war als der Mann, der zu ihm hochgrinste.
»Jemand muss sie doch in Schranken halten. Hab’ ich Recht, Boss?«
»Darauf kannst du deinen …« Boss unterbrach sich abrupt und richtete den Blick auf Liv. »Möchtest du mich nicht dieser reizenden Lady
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