Der Angriff
ihn.
Präsident Hayes blickte gar nicht auf, als seine Stabschefin auf der Couch Platz nahm. Sie betrachtete ihn einige Augenblicke und sagte dann: »Warum sind sie nicht gekommen?«
Hayes schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Sie müssen einen guten Grund dafür haben.«
»Was zum Beispiel? War unsere Strategie nicht immer die, dass wir nicht mit Terroristen verhandeln?«
»Es gibt eben mehr als eine mögliche Strategie.«
»Wer trifft denn jetzt die Entscheidungen?«
Der Präsident sah sie mit müden Augen an. »Ich habe Ihnen doch schon gestern gesagt, dass gemäß der Verfassung der Vizepräsident nun die Befugnisse des Präsidenten innehat.«
Valerie Jones verdrehte die Augen. »Das lässt nichts Gutes hoffen.«
Der Präsident nickte langsam.
»Warum schickt er denn nicht das FBI ins Haus?«
»Ich weiß es nicht, Valerie«, antwortete Hayes ungeduldig. Die Anspannung und der Schlafmangel zehrten an seinen Nerven.
»Ich verstehe das einfach nicht«, sagte Valerie Jones kopfschüttelnd. »Es klang wirklich einleuchtend, als Sie gemeint haben, das FBI würde noch vor dem Morgengrauen zuschlagen.«
»Wir wissen ja nicht, wie die Situation im Augenblick ist. Es gibt viele mögliche Gründe, warum sie noch warten.«
Valerie Jones wusste um die Probleme zwischen Präsident Hayes und Vizepräsident Baxter. Sie hatte selbst des öfteren mit dem Präsidenten darüber gesprochen. Wenn sie es schaffte, dass Hayes seinen Zorn gegen Baxter richtete, würde er möglicherweise ihre bescheidene Rolle in der Katastrophe vergessen.
Und so ließ sie schließlich ihre wohlüberlegte kleine Bemerkung fallen, von der sie hoffte, dass sie den Zorn des Präsidenten von ihr weg und auf einen anderen lenken würde. »Vielleicht gefällt es Baxter ja auch, selbst Präsident zu sein.«
Irene Kennedy stand in ihrem Büro und beobachtete, wie die Sonne über den Bäumen am Potomac aufging. An Schlaf war in letzter Zeit kaum mehr zu denken – und das um so weniger nach dem tragischen Scheitern der jüngsten Operation.
Um halb drei Uhr nachts hatte Irene immer noch in der Zentrale in Langley gesessen, als der sichtlich erboste Skip McMahon anrief. Der Special Agent war selbst wenige Minuten zuvor geweckt worden, weil ein Anruf von Rafik Aziz gekommen war. In Boxershorts und T-Shirt war er in die Kommandozentrale des FBI geeilt und musste sich die wüsten Vorwürfe von Rafik Aziz anhören, die für ihn überhaupt keinen Sinn ergaben. McMahon bemühte sich, die Anschuldigungen zu entkräften, was Aziz nur noch wütender machte. Schließlich erinnerte sich der Special Agent an einen Anruf von FBI-Direktor Roach, der ihm mitgeteilt hatte, dass die CIA am Ostzaun des Weißen Hauses einige hoch empfindliche Überwachungsgeräte in Position bringen wollte. McMahon versicherte Aziz, dass er der Sache sofort auf den Grund gehen werde, worauf er als Erstes seine Kollegin und gute Freundin Irene Kennedy anrief.
So kam es, dass man sich in der Zentrale in Langley zusammenzureimen begann, was sich zugetragen haben musste. General Campbell befahl Harris unverzüglich, einen Mann in den Schacht zu schicken, um herauszufinden, was los war. Wenig später wurden die beiden SEALs mit einer elektrischen Winde herausgezogen. Nick Shultz hatte, dem Ehrenkodex der SEALs entsprechend, seinen Kameraden nicht zurückgelassen.
Als das Feuer eröffnet worden war, hatte sich Shultz weit genug hinter Craft befunden, um durch die Schüsse nicht gefährdet zu werden. Und so zog er seinen Kameraden an dessen Ausrüstung Stück für Stück mit sich und betete, dass er noch lebte. Seine Hoffnung sollte sich nicht erfüllen.
Während Irene Kennedy nun aus dem Fenster im sechsten Stock ihres Büros in Langley blickte und zusah, wie die Sonne aufging, wünschte sie sich, sie könnte die Zeit zurückdrehen und alles noch einmal machen. Und diesmal richtig, so wie sie es eigentlich von Anfang an hatte tun wollen. Als sie mit ihrem Job begonnen hatte, in dem es nun einmal darum ging, Menschen in lebensgefährliche Einsätze zu schicken, hatte sie sich geschworen, dass sie keine abgehobene Bürokratin werden würde. Insgesamt waren bei Einsätzen, für die sie zuständig war, schon siebzehn Menschen ums Leben gekommen – der Großteil davon bei einer einzigen völlig verpfuschten Operation. Mit Craft waren es nun schon achtzehn.
Irene Kennedy wurde aus ihren Gedanken gerissen, als es an der Tür klopfte. »Herein«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.
Die
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