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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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stehenden Publikum zuwinkte, stimmte ein älterer Mann mit Trachtenhut und Lederhose auf einem Akkordeon, das fast größer als er selbst war, »Hail to the Chief« an. Der Präsident stutzte, dann hob er die Hände zu einer freundlichen Heiliger-Strohsack -Geste. Zum ersten Mal sah ich ihn so, wie ich Oswald sehen gelernt hatte – als richtigen Menschen. In dem Stutzen und der darauf folgenden Geste er kannte ich etwas, was noch schöner und wertvoller war als Sinn für Humor: Verständnis für die fundamentale Absurdität des Lebens.
    Auch David Brinkley lächelte. »Sollte Kennedy wiedergewählt werden, wird dieser Gentleman vielleicht eingeladen, auf dem Ball zur Amtseinführung zu spielen. Vermutlich eher die ›Beer Barrel Polka‹ als ›Hail to the Chief‹. Inzwischen haben sich in Genf …«
    Ich schaltete den Fernseher aus, kehrte aufs Sofa zurück und schlug Als Notizbuch auf. Während ich nach hinten blätterte, sah ich wieder dieses Stutzen. Und das Grinsen. Sinn für Humor; Sinn fürs Absurde. Der Mann am Fenster im fünften Stock des Schulbuchlagers besaß nichts dergleichen. Das hatte Oswald immer wieder bewiesen, und solch einem Menschen stand es nicht zu, die Geschichte zu verändern.
    10
    Mit Bestürzung stellte ich fest, dass fünf der letzten sechs Seiten von Als Notizbuch Lees Bewegungen in New Orleans und seine vergeblichen Bemühungen schilderten, über Mexiko nach Kuba zu gelangen. Nur die letzte Seite betraf die Zeit unmittelbar vor dem Anschlag, und diese abschließenden Notizen waren sehr ober flächlich. Al hatte die Details bestimmt auswendig gekannt und war vermutlich zu der Einschätzung gelangt, dass es zu spät sein würde, wenn ich Oswald nicht bis zur dritten Novemberwoche erledigt hatte.
    3. 10. 63: O wieder in Texas. Er und Marina leben »mehr oder weniger« getrennt. Sie in Ruth Paines Haus; O kreuzt meist nur an Wochenenden auf. Ruth verschafft O durch einen Nachbarn (Buell Frazier) einen Job im Schulbuchlager. Ruth bezeichnet O als »netten jungen Mann«.
    O lebt während der Arbeitswoche in Dallas. Pension.
    17. 10. 63: O nimmt die Arbeit im Buchlager auf. Ordnet Bücher ein, entlädt Lastwagen usw.
    18. 10. 63: O wird 24. Ruth und Marina organisieren eine Überraschungsparty. O bedankt sich gerührt. Weint.
    20. 10. 63: 2te Tochter geboren. Audrey Rachel. Ruth fährt Marina ins Krankenhaus (Parkland), während O arbeitet. Gewehr liegt in Decke gewickelt in der Garage der Paines.
    O erhält wiederholt Besuch von FBI-Agent James Hosty. Das verstärkt seinen Verfolgungswahn.
    21. 11. 63: O kreuzt bei den Paines auf. Beschwört Marina, zu ihm zurückzukommen. M weigert sich. Das gibt O den Rest.
    22. 11. 63: O lässt sein ganzes Geld auf der Kommode für Marina zurück. Fährt mit Buell Frazier von Irving aus zum Buchlager. Hat längliches Paket in braunem Packpapier dabei. Buell fragt ihn danach. »Vorhangstangen für meine neue Wohnung«, behauptet O. Mann-Carc-Gewehr vermutlich zerlegt. Buell parkt auf städtischem Parkplatz 2 Blocks vom Buchlager entfernt. 3 Minuten zu gehen.
    11.50 Uhr: O baut Scharfschützennest in Südostecke des 5ten Stocks; stapelt Kartons als Sichtschutz vor Handwerkern, die auf der anderen Seite Sperrholz für einen neuen Boden verlegen. Mittagessen. Außer ihm niemand da. Alle wollen Präs. sehen.
    11.55 Uhr: O baut Mann-Carc zusammen & lädt das Gewehr.
    12.29 Uhr: Autokolonne erreicht Dealey Plaza.
    12.30 Uhr: O schießt 3 Mal. 3ter Schuss trifft JFK tödlich.
    Die Information, die ich am dringendsten brauchte – die Adresse von Oswalds Pension –, stand nicht in Als Aufzeichnungen. Ich widerstand dem Drang, das Notizbuch quer durchs Zimmer zu schleudern. Stattdessen stand ich auf, zog meine Jacke an und ging ins Freie. Inzwischen war es fast Nacht, aber am Horizont ging ein Dreiviertelmond auf. In seinem Licht sah ich Mr. Kenopensky zusammengesunken im Rollstuhl hocken. Er hatte sein Motorola-Radio auf dem Schoß.
    Ich hinkte die Rampe hinunter zu ihm hinüber. »Mr. K.? Alles in Ordnung?«
    Als er nicht gleich antwortete und auch sonst keine Regung zeigte, war ich überzeugt, dass er tot war. Dann blickte er auf und lächelte. »Ich hör bloß meine Musik, mein Sohn. Nachts spielen sie auf KMAT immer Swing, und der versetzt mich echt in die alte Zeit. Früher konnt ich wie verrückt Lindy- und Bunnyhop tanzen, auch wenn mir das keiner mehr ansieht. Ist der Mond nicht schön?«
    Das war er allerdings. Wir betrachteten ihn einige Zeit lang

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