Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Vorteil!
    So sehr ist es allen in Fleisch und Blut übergegangen: «Wichtig ist das Resultat!»
    Woher ist das gekommen?
    Zunächst vom Ruhm unserer Fahnen, von der sogenannten «Ehre des Vaterlandes». Wir betrieben Expansion, wir unterjochten, verfolgten, massakrierten unsere Nachbarvölker – und der russischen Gesellschaft wurde eingeprägt: «Wichtig ist das Resultat!»
    Später von unseren Demidows, Kabanichas und Zybukins. Sie drängten nach oben, ohne sich darum zu kümmern, wem sie mit ihren Stiefeln die Ohren abtraten, und dem einst geradsinnigen und gottesfürchtigen Volk prägte sich ein: «Wichtig ist das Resultat!»
    Schließlich vom Sozialismus aller Schattierungen, insbesondere von der neuesten unfehlbaren und ungeduldigen Lehre, die einzig und allein darin besteht: «Wichtig ist das Resultat!» Wichtig ist es, eine schlagkräftige Partei zu organisieren! Die Macht zu ergreifen! Die Macht zu behaupten! Die Gegner zu vernichten! In der Eisen-und Stahlproduktion zu führen! Raketen zu starten!
    Und wenn wir auch dieser Industrie und diesen Raketen unsere Lebensordnung, unsere Familie, die sittliche Gesundheit unseres Volkes und die Seele unserer Felder, Wälder und Flüsse opfern mußten – egal! Wichtig ist das Resultat!!
    Aber das ist nicht wahr! Jahr um Jahr krümmen wir unsere Rücken in der Allunions-Katorga. Langsam, mit jedem Jahresring, steigen wir höher in der Erkenntnis des Lebens, und von dieser Höhe aus sehen wir klar: Nicht das Resultat ist wichtig! Nicht das Resultat, sondern der GEIST! Nicht was getan wurde, sondern wie . Nicht, was erreicht wurde, sondern um welchen Preis.
    Wenn das Resultat wichtig ist, dann gilt auch für uns Häftlinge der Grundsatz: Überleben um jeden Preis! Also: spitzeln, Kameraden verraten und sich dafür ein Plätzchen an der Sonne ergattern, vielleicht sogar eine vorzeitige Entlassung. Im Lichte der unfehlbaren Lehre ist daran nichts Schlechtes. Denn, wenn du so handelst, wird das Resultat zu deinen Gunsten sein – und wichtig ist das Resultat!
    Niemand bestreitet: Es ist angenehm, für sich ein Resultat zu erreichen. Aber nicht um den Preis des Menschenbildes.
    Wenn allein das Resultat wichtig ist, dann gilt es, alle Kräfte und Gedanken einzusetzen, um den Allgemeinen zu entgehen. Dann gilt es: kuschen, kriechen, speichellecken, aber bei den Pridurki bleiben. Und damit auch – am Leben bleiben.
    Wenn das Wesen entscheidend ist, dann mußt du dich wohl oder übel mit den Allgemeinen abfinden. Mit den Lumpen. Mit der zerfetzten Haut der Hände. Mit dem kleineren und schlechteren Stück. Vielleicht auch – mit dem Tod. Aber solange du lebst, richtest du dich stolz mit schmerzendem Rücken auf. In dem Augenblick, wo du keine Drohung mehr fürchtest und keine Belohnung mehr suchst, wirst du in den lauernden Augen deiner Herren zu einem von der gefährlichen Sorte. Denn wie sollen sie dir beikommen?

    Wenn du einmal dem «Überleben um jeden Preis» abgeschworen und den Weg beschritten hast, den die Stillen und Einfachen gehen, beginnt die Unfreiheit auf erstaunliche Weise dein früheres Wesen zu verwandeln. In einer Richtung zu verwandeln, die dich selbst überrascht.
    Man sollte meinen, daß im Lager Verbitterung, Verstörung, zielloser Haß, Gereiztheit, Unbeherrschtheit im Menschen aufbrechen. Dabei merkst du selbst nicht, wie im stillen Lauf der Zeit die Unfreiheit in dir die Keime der entgegengesetzten Gefühle entfaltet.
    Du warst früher heftig und ungeduldig, warst immer in Eile, hattest nie Zeit. Jetzt ist sie dir im Überfluß gegeben, du hast dich an ihr gesättigt, in all den Monaten und Jahren, die hinter und vor dir liegen, und eine wohltuende, beruhigende Flüssigkeit durchströmt deine Adern – Geduld.
    Du steigst höher …
    Du hast früher nie verziehen, du hast schonungslos verurteilt und ebenso hemmungslos gerühmt. Jetzt bestimmt eine alles verstehende Milde deine unkategorischen Urteile. Du hast dich als schwach erkannt, du kannst jetzt die Schwäche anderer verstehen. Und die Stärke anderer bewundern. Und sie besitzen wollen.
    Geröll rieselt unter deinen Füßen. Wir steigen höher …
    Gepanzerte Ausdauer legt sich mit den Jahren um dein Herz und um deinen ganzen Körper. Du beeilst dich nicht mit Fragen. Du beeilst dich nicht mit Antworten. Deine Zunge hat die Fähigkeit zu leichter Vibration verloren. Deine Augen leuchten nicht freudig auf, wenn dich gute Nachricht erreicht, und werden vom Kummer nicht trüb.
    Denn du mußt erst