Der Archipel in Flammen
Grund ist der, mein Herr," antwortete der Engländer, "vor etwa vier Wochen sind zwei Kauffahrer, der "Carnatic" und die "Three Brothers" von diesem sakrischen Sakratif gekapert und was von beiden Besatzungen mit dem Leben davongekommen, in Tripolis auf den Sklavenmärkten verkauft worden."
"Nicht möglich!" rief Nikolas Starkos; "hm, eine schlimme Affäre, die diesem Sakratif wohl noch leid tun könnte!"
"Daraufhin hat sich eben eine Gesellschaft von Reedern zusammengetan und hat eine Kriegskorvette armiert, einen Schnellfahrer ersten Ranges, mit auserlesener Mannschaft unter dem Kommando eines unerschrockenen Seemanns! ja, unser Stradena wird diesem Sakratif schon ans Leder gehen! Diesmal steht wirklich zu hoffen, daß dieser Seeräuber, der den ganzen Archipel in Schach hält, seinem Schicksal nicht entrinnen wird!"
"Schwer wird's ihm jedenfalls werden," versetzte Nikolas Starkos.
"Und wenn Sie heute die ganze Bevölkerung auf den Beinen und auf der Esplanade versammelt sehen," setzte der Reeder hinzu, "so hat das keinen andern Grund, als weil ganz Korfu der "Syphanta" ein Hurra zum Abschied nachrufen will, wenn sie den Kanal hinunter segelt!"
Nikolas Starkos wußte nun jedenfalls, was er wissen wollte. Er dankte seinen Tischnachbarn, stand auf und mischte sich von neuem unter die Menge, welche die Esplanade füllte. Was von diesen Engländern und Korfioten gesagt worden war, war keineswegs übertrieben, sondern nur allzu wahr. Seit mehreren Jahren schon kennzeichneten sich Sakratifs Raubzüge durch Gewalttätigkeit der empörendsten Art. Unzählige Kauffahrteischiffe aller Nationalität waren von diesem Seeräuber, dessen Verwegenheit mit seiner Blutgier um den Rang stritt, überfallen worden. Woher kam der Bandit? welcher Herkunft war er? gehörte er jenem Piratengesindel an, das an den Küsten der Berberei zu Hause ist? Wer hätte es sagen können? Es kannte ihn niemand. Es hatte ihn niemand gesehen. Keiner von all denen, die unter das Feuer seiner Kanonen geraten waren, war davongekommen: wer nicht den Tod gefunden hatte, war in die Sklaverei geschickt worden. Wer hätte die Schiffe nennen können, die er fuhr? Er wechselte unablässig mit dem Kommando, war bald auf diesem, bald auf jenem Schiffe; führte seine Schläge bald mit einer flinken Levante-Brigg, bald mit einer jener leichten Korvetten, deren Schnelligkeit kein Schiff übertrumpfen kann, und führte immer die Schwarzflagge. Im Nu war er verschwunden, sobald er merkte, daß er im Nachteil war, daß er sich einem zu starken Gegner gegenüber befand. Und in welchem unbekannten Schlupfloch, in welchem entlegenen Winkel des Archipels hätte man ihn suchen sollen? Kannte er doch die geheimsten Engen dieser Küsten, deren Kunde damals noch außerordentlich zu wünschen ließ.
War der Seeräuber Sakratif ein tüchtiger Seemann, so war er nicht minder ein schrecklicher Draufgänger. Immer von Mannschaft umringt, die vor nichts zurückschreckte, vergaß er niemals ihr nach dem Kampfe den "Teufelsteil" zu lassen, das heißt: ein paar Stunden zu Mord und Plünderung. Darum folgten ihm auch seine Scharen, wohin er sie führte; darum führten sie seine Befehle aus, gleichviel wie sie lauteten. Einer wie alle hätten sich erschlagen lassen für ihn! Die Androhung der furchtbarsten Strafen hätte sie zu keinem Verrat an ihrem Häuptling bestimmt, der einen wirklichen Zauber auf sie übte. Gerieten solche Leute mit den Enterhaken an ein Schiff, so war Widerstand freilich nur selten möglich, vornehmlich dann, wenn es ein Kauffahrteischiff war, dem es ja an ausreichenden Verteidigungsmitteln in der Regel fehlt.
Uebrigens hätte Sakratif, wäre ihm trotz aller Gewandtheit einmal ein Kriegsschiff über den Hals gekommen, sich eher in die Luft gesprengt, als sich ergeben. Ja man erzählte sich, daß er bei solcher Gelegenheit einmal, als ihm die Kugeln ausgingen, den auf Deck liegenden Leichen die Köpfe abgeschnitten und damit seine Kanonen geladen!
Auf die Verfolgung solches Mannes also wurde die "Syphanta" ausgeschickt – das also war der furchtbare Seeräuber, dessen fluchbeladener Name in der korfiotischen Hauptstadt ein solches Maß von Aufregung verursacht hatte!
Bald dröhnte ein Schuß. Ueber dem Hauptwall der Citadelle zuckte ein greller Blitz auf; eine Rauchwolke stieg auf. Es war das Abfahrtssignal. Die "Syphanta" lichtete die Anker und fuhr den Kanal von Korfu hinunter, um die südlichen Gewässer des Ionischen Meers zu gewinnen.
Alles Volk
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