Der Archipel in Flammen
was er erzählte, das war auch erlebt und vollbracht, und richtig erlebt und vollbracht!
Nicht ohne triftigen Grund hatte sich Kapitän Henry d'Albaret, nachdem er das Kommando der Korvette übernommen, zum Kurs nach Norden entschlossen. Kurz vor seiner Abfahrt von Scio waren verdächtige Schiffe in der Nähe von Lemnos und Samothraka signalisiert worden. Ein paar Levantefahrer waren fast unmittelbar am Gestade der europäischen Türkei geplündert und in den Grund gebohrt worden. Vielleicht hielt es das Korsaren-Gesindel, seit die "Syphanta" ihnen so scharf auf den Haxen war, für klüger, sich in den nördlichen Gewässern des Archipels aufzuhalten, was man ihnen im Grunde bloß als Klugheit anrechnen konnte.
In den Gewässern von Mitylene war nichts zu finden, außer ein paar Kauffahrteischiffen, die sich an die Korvette anschlossen, deren Anwesenheit ihnen nur willkommen war.
Vierzehn Tage lang erfüllte die "Syphanta", obwohl sie unter dem schlimmen Wetter, das bei Tag- und Nachtgleiche immer eintritt, schwer zu leiden hatte, schlecht und recht ihre Mission. Ein paar scharf hintereinander einsetzende Böen zwangen sie, Sturmsegel zu setzen, und gaben Henry d'Albaret Gelegenheit, sich ein Urteil über die Seetüchtigkeit seines Schiffs sowohl als seiner Mannschaft zu bilden. Aber auch die Mannschaft gewann Respekt vor den taktischen Fähigkeiten ihres Kapitäns, über dessen Mut und Tapferkeit im Feuer Zweifel ohnehin nicht bestanden. Er wies sich aber nicht bloß als Taktiker, sondern auch als Praktiker auf See: er war im Handumdrehen mit allen "Finessen" seiner Mannschaft vertraut und wußte alle Vorteile, die ihm Schiff und Mannschaften boten, aufs klügste und geschickteste zu nützen. Dabei besaß er ein verwegenes Temperament, Seelenstärke, Kaltblütigkeit: mit einem Worte, er war Seemann durch und durch – vom Scheitel bis zur Sohle!
Während der zweiten Hälfte im März rekognoszierte die Korvette die Küsten von Lemnos. Diese Insel, die bedeutendste auf dieser Seite des ägäischen Meeres, mißt in der Länge 15, in der Breite 5-6 Meilen und war, gleichwie ihre Nachbarinsel Imbro, vom Unabhängigkeitskriege noch nicht berührt worden. Indessen waren die Korsarenschiffe hin und wieder bis vor ihre Reede gekommen und hatten Kauffahrer, auf der Ausfahrt begriffen, direkt in Sicht von Lemnos überfallen. Die Korvette steuerte, um Proviant und Munition einzunehmen, in den momentan übervollen Hafen. Es befanden sich nämlich gerade auf der Inselwerft zahlreiche Schiffe im Bau, aber aus Furcht vor den Korsaren blieben dieselben, ohne seeklar gemacht zu werden, im Dock: zufolgedessen die Ueberfülle an Schiffen im Hafen.
Was der Kommandant der "Syphanta" in Lemnos erfuhr, konnte ihn nur bestimmen, nördlichen Kurs für seine Korvette zu halten. Wiederholt wurde sogar ihm und seinen Offizieren gegenüber der Name "Sakratif" laut.
"Ha!" rief Kapitän Todros, "wäre wirklich gespannt, diesem sakrischen Kerl mal Auge in Auge gegenüberzustehen. Kommt mir schier schon vor, als sei der ganze Kerl bloß Fabel! Wär mir doch wenigstens Beweis, daß er wirklich existiert!"
"Setzen Sie in seine Existenz etwa Zweifel?" fragte Henry d'Albaret lebhaft.
"Auf Seemannsehre, Kapitän!" erwiderte Todros, "wenn Sie meine wahre Meinung hören wollen, dann glaube ich nicht recht an diesen sakritischen Patron von Sakratif, ich wüßte auch niemand, der sich rühmen könnte damit, ihn je in seinem Leben gesehen zu haben! Vielleicht ist's ein sogenannter nom de guerre , den all diese Korsarenkapitäne, die hier zusammen ihr Unwesen treiben, reihum annehmen! Mag wohl schon mehr als einer, denk ich mir, der diesen stolzen Namen führte, an einer Raaspitze gebaumelt haben! Kommt übrigens nicht viel darauf an, wer von den Kerlen baumelt – Hauptsache ist, daß keiner dem Strick entrinnt! Na, dafür ist ja gesorgt!"
"So unmöglich ist das übrigens nicht, was Sie da sagen, Kapitän Todros!" meinte Henry d'Albaret, "das würde auch erklären, daß dieser Sakratif die Gabe, überall und nirgends zu sein, zu besitzen scheint."
"Sie haben recht, Kommandant," bemerkte einer der fränkischen Offiziere: "wenn Sakratif, wie behauptet wird, an verschiedenen Punkten zur gleichen Zeit und Stunde gesehen worden ist, dann muß er sich doch aus verschiedenen Personen zusammensetzen, dann muß der Name von mehreren Korsarenhäuptlingen zugleich geführt werden."
"Und wenn es sich so verhält, dann tun's die Schufte bloß, um ehrliche
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