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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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kennengelernt – und das finde ich schon sehr spannend, weißt du?«
    »Klar, nein, das ist faszinierend«, entgegnete Ben bereitwillig und nippte an seiner Flasche. Es gefiel ihm, dass sie davon so begeistert war.

13
    Der Wagen huschte über die Bundesstraße. Mias Kopf lehnte gegen das Fenster. Was sie sah, waren Schlieren, Tropfen, Schatten. Ihre Wangen waren nass. Sie konnte sich nicht beruhigen. Immer wieder vibrierte ihr Körper, weil sie Luft holen musste, ihr Zwerchfell tanzte auf und ab, und in ihrem Kopf hatten sich die Gedanken verknäult.
    Am Morgen hatte sie mit Dunja telefoniert, wenig später war sie aufgebrochen. Erneut, ohne ihrer Mutter etwas zu sagen. Mia schob ihre rechte Hand zwischen die Zähne und biss darauf. Marco hatte keine Musik angestellt, und sie wollte nicht, dass sie sie weinen hörten.
    »Geht’s dir wieder ein bisschen besser?«
    Es war Dunja. Sie saß neben ihr auf der Rückbank und hatte sich zu ihr vorgebeugt, ihre kleine Hand ruhte auf Mias Nacken. Mia nickte, wischte sich mit der Hand über die Augen.
    »Das ist gut«, flüsterte Dunja, und Mia sah, wie sie einen Blick nach vorn warf, den Augen Marcos begegnete, der über den Rückspiegel zu ihnen nach hinten blickte.
    »Geht’s wieder?« Seine Stimme klang weich und freundlich.
    Mia nickte, während Dunja noch ein wenig näher an sie heranrückte.
    »Freut mich, Mia«, hörte sie Marco sagen, dessen Augen über den Spiegel jetzt zu ihr gewandert waren. Er lächelte ihr zu.
    »Willst du ein bisschen Musik hören?«
    Mia lächelte zurück. »Hmm.«
    Seine Augen verschwanden aus dem Rückspiegel, und es knackte in den Lautsprechern. Ein Techno-Hit wurde mitten im Lauf erwischt und in den Blechkäfig des Wagens gepumpt. Dunjas Hand massierte leicht Mias Nacken.
    Mia legte sich zurück, den Kopf von ihrer Freundin abgewandt. Vor dem Fenster flog die zersiedelte Landschaft des schmalen Streifens zwischen Berlin und der polnischen Grenze vorbei.
    »Es wird dir sicher Spaß machen, heute Abend«, hörte sie Marco sagen, aber als sie nach vorn blickte, um seine Augen im Rückspiegel zu suchen, waren sie starr auf die Straße gerichtet.

14
    »Seit wann?«
    »Seit letzten Sommer.«
    »Und woher kennst du Georg?«
    »Er war mit meinem älteren Bruder befreundet.«
    »Und? Gefällt’s dir?«
    »Ja! Berlin ist cool …« Sibylle lächelte.
    Ben mochte es. »Dann hast du ja noch einiges zu entdecken.«
    Sie nickte. »Ich wohne bei einer Freundin, die schon länger hier ist. Sie hat mich ganz schön herumgeführt.«
    »Warst du schon auf dem Fernsehturm?«
    Sie lachte.
    »Und in der Gedenkstätte Hohenschönhausen?«
    Das Lachen machte einem neugierigen Gesichtsausdruck Platz.
    »Wo die Stasi die Regimegegner gefoltert hat?«
    Sie atmete aus. »Wow … nee.«
    »Ich habe mir das mal angesehen, weil ich einen Film schreiben wollte, der nur in dem Gefängnis spielt.« Ben nippte an dem Bier, das vor ihm auf dem Tresen stand. Sie waren nicht mehr in der Kneipe, in der Georg seinen Geburtstag feierte. Vor einer halben Stunde, als Ben das Gefühl gehabt hatte, nun wirklich gar keinen der anderen Gäste mehr zu kennen, hatte er sich von Georg verabschiedet – »Wir sehen uns ja noch, bevor du losfährst, oder?« –, dann waren er und Sibylle aufgebrochen. Weit waren sie nicht gegangen, nur die Veteranenstraße hoch und über den Zionskirchplatz bis zur Kastanienallee. Dort hatte Ben Sibylle ein geräumiges Café gezeigt, das auch kurz nach Mitternacht noch voll war. Sie hatten wieder an der Theke Platz genommen.
    »Als ich klein war, kursierten unter uns Kindern die wildesten Gerüchte, wie die Leute in der DDR gequält würden«, führte Ben aus. »An eine Methode erinnere ich mich noch genau. Die Gefangenen würden in Telefonzellen gesperrt, hieß es, und ein Wassertropfen würde regelmäßig auf ihre Schädeldecke fallen. Das würde kein Mensch aushalten, sie würden schlichtweg durchdrehen.« Er warf ihr einen verschmitzten Blick zu. »Ich habe später versucht, herauszubekommen, ob das stimmt, ob das wirklich gemacht wurde. Aber einen handfesten Beleg dafür habe ich bis heute nicht auftreiben können.«
    Sibylle hatte ihren Kopf in die Hand gestützt und sah ihn an.
    »Einen harten Gefängnisfilm, mit alten Vopo-Uniformen, dem ganzen DDR -Mobiliar, diesen klapprigen Autos – und die Dissidenten sprechen Berlinerisch, wie es manch einer heute noch gerne tut. Zwischendurch aber wird unerbittlich Gewalt angewendet, um die

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