Der Architekt
einem mörderischen Streit zwischen Ihnen und Ihrer Frau gekommen ist, auch erklärbar wird, weshalb Sie Ihre beiden Töchter getötet haben.
Weil sie zu Zeugen geworden waren.
« Die Stimme des Staatsanwalts hatte geklungen wie ein Fauchen.
»Das musst du dir mal vorstellen«, sagte Ben und warf Sibylle einen Blick zu, »der Mann ist erst ins Schlafzimmer zu seiner Frau gegangen, sie hat sich anscheinend kaum gewehrt. Er hat ihr mit einer Tischlampe aus Messing den Schädel eingeschlagen, und dann ist er auf seine Kinder los – die Kleinste, Pia, hat wohl in ihrem Bett noch geschlafen.«
»Haben Sie uns nicht eben in ergreifenden Worten erklärt, wie wichtig Ihre Arbeit für Sie ist?«, hatte der Staatsanwalt Götz entgegengeschleudert. »Das ist die Wahrheit, von der Sie sprachen, Herr Götz, die Wahrheit, von der Sie jeden hier im Saal sofort überzeugt haben.« Die weiten schwarzen Ärmel seiner Robe waren geflogen, und er hatte mit dem Finger auf Götz gezeigt, der noch immer an der Holzbrüstung gestanden hatte. »
Deshalb
mussten Ihre Töchter sterben: weil sie als Zeuginnen hätten aussagen können und Sie, Herr Götz, dann
nie wieder hätten arbeiten können!
Sie haben Schuldgefühle,
weil Sie schuldig sind!
Sie können seit diesem Abend an nichts anderes mehr denken,
weil Sie die furchtbarste Schuld auf sich geladen haben, die ein Vater jemals auf sich laden kann.
Nicht dass Sie auf Ihre Töchter nicht aufgepasst hätten, sondern dass Sie sie
mit Ihren eigenen Händen getötet haben,
mit der Kraft eines erwachsenen Mannes, der Ihre sechsjährige Tochter Pia und Ihre achtjährige Tochter Svenja nichts entgegenzusetzen hatten! Deshalb werden Sie hier von diesem Gericht verurteilt werden, und es wird ein Moment der Gerechtigkeit sein, der von uns allen eine bis zur Qual gesteigerte Last nehmen wird. Auch von Ihnen, Herr Götz, weil Sie dann wissen werden, dass es richtig ist, wahr und gerecht –
und das Einzige, was Ihnen in der Hölle, in die Sie sich gestürzt haben, noch helfen kann!
«
Ben senkte die Stimme. »Das ganze Kinderzimmer war voll Blut, die Puppen, der Teddy. Die Kleine lag unter ihrer Decke, verstehst du. Er kommt rein, sieht sie dort schlafen, seine eigene Tochter, schleicht sich ans Bett, holt aus –«
»Ja, ist ja gut!« Sibylle hatte eine Hand erhoben und hielt die Handfläche abwehrend in seine Richtung.
»Nein, stell dir das doch mal vor, er hält diese Scheißtischlampe fest, holt aus. Man hat Blutstropfen an der Decke gefunden. Die können dort nur hingekommen sein, weil er die Tatwaffe, die schon voller Blut gewesen ist, bis über den Kopf gerissen hat, um mit aller Kraft diesem schlafenden, unschuldigen sechsjährigen Mädchen ins Gesicht –«
»Hey!« Sibylle war aufgesprungen, ihre Stimme klang laut und klar. »Ist gut, okay?«
Ben spürte, wie er etwas einsackte. Fast kam es ihm so vor, als würde er wieder zu sich kommen. Er hörte, wie die Kaffeemaschine hinter ihm röchelte, der Kaffee war fertig. Irgendetwas war passiert, stand im Raum, er wusste, dass es unangenehm war, aber er wusste nicht genau, was es war. Abrupt drehte er sich um, ging in die Küche.
»Ist ja schon fast ein Uhr!«, hörte er Sibylle hinter sich.
Er nahm die Kaffeemaschine vom Herd und öffnete den Schrank, um zwei Tassen herauszuholen.
»Ist das okay für dich, wenn wir einen Kaffee trinken, sobald ich dir das wiederbringe?«
Er sah sich um. Sibylle hielt das Skript hoch, lächelte, aber ihr Lächeln war nicht mehr glitzrig, hell, hübsch, es war irgendwie verrutscht.
»Nee, klar, kein Problem.« Er sah, wie sie Richtung Wohnungstür ging.
»Ist echt viel später, als ich dachte.« Sie sah ihn nicht an. »Ich muss morgen dringend noch was für die Uni tun.«
Ben musste sich regelrecht beeilen, um sie noch vor der Wohnungstür einzuholen.
›Hat Spaß gemacht, mit dir zu reden.‹ Nein, das konnte er jetzt auch nicht mehr sagen …
Sie hatte ja schon die Klinke in der Hand, zog die Tür auf.
Küsschen? Nein, nein.
»Sorry wegen dem Kaffee, ja?« Sie warf ihm einen kurzen Blick zu.
»Kein Problem.«
»Tschühüs.«
Weg war sie. Er hörte ihre Schritte auf der breiten Betontreppe klappern.
Erst als Ben den Kaffee in den Ausguss schüttete, fiel ihm auf, dass sie etwas vergessen hatte. Ihre gelbgrüne Jacke. Sie hatte ja gar nicht schnell genug aufbrechen können!
Er griff nach der Jacke – und spürte, wie er sein Gesicht darin vergrub. Sie duftete gut, genau, wie er sich
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