Der Architekt
Sein Gesicht schien das Verschattete, das Ben in dem Zwischengeschoss aufgefallen war, nicht mehr loszuwerden. »Denken Sie immer noch, dass ich Christine getötet habe, Herr Lindenberger?«
»Ich bewundere, wie gefasst Sie mit diesem Vorwurf umgehen«, brachte Ben hervor. »Ich sollte jetzt wirklich gehen …«
Aber darauf schien sich Sebastian nicht einlassen zu wollen. »Mit welchem Vorwurf? Dass ich meine Schwester erschlagen haben soll und meine beiden Nichten dazu?« Er machte einen Schritt nach vorn und stand nun so dicht vor Ben, dass der nicht anders konnte, als Sebastians Geruch einzuatmen, einen Geruch, der etwas Abgestandenes an sich zu haben schien, etwas Muffiges, dachte Ben, als müsste … der ganze Mann mal gelüftet werden.
Verwirrt drehte sich Ben um die Achse. Was war nur los mit ihm!
Hatte Sebastian das wirklich gesagt? ›Dass ich Christine erschlagen haben soll und meine beiden Nichten dazu?‹ Oder war es ihm gerade nur so vorgekommen? So wie es ihm doch nur so vorgekommen war, als wäre die Tür am Fuß der Treppe verschlossen gewesen! Und vielleicht nur so vorgekommen war, als spielte Sebastian, er würde sein Kind erschlagen!
»Hm?«
Sebastian sah ihn mit spöttisch gekräuseltem Mund an. Bens Blick wischte an ihm vorbei.
Ich kann jetzt nicht kopflos die Flucht ergreifen, dröhnte es in seinem Schädel. Was würden sie denn Götz erzählen? Wenn er Pech hatte, rieten sie Götz noch davon ab, das Buch zu machen.
Ben zwang sich, die Wellen von Verwirrung niederzukämpfen, die in ihm hochstiegen. Er war doch praktisch schon am Ziel, er brauchte doch nur noch aufzuschreiben, was weiter geschah, er brauchte sich keine Gedanken mehr zu machen.
Er durfte nur jetzt nicht alles vermasseln.
Da sah er ihn aus dem Haus kommen. Deutlich aufgeräumter als zuvor schritt Gebhart Voss über den Rasen auf ihn zu.
»Herr Lindenberger – noch immer bei uns?«
»Ich wollte mich noch von Sophie verabschieden.«
»Ist sie nicht hier?« Gebhart zog seine Augenbrauen in die Höhe. »Sebastian, was denkst du? Können wir Herrn Lindenberger vielleicht bei der Suche helfen?«
Plötzlich erfasste Ben Panik. War Sophie die Frau in dem Zimmer gewesen, die Frau, die sich über Gebhart gebeugt hatte?
Er bemerkte, wie Sebastian sich ans Kinn fasste und mit hochruckendem Kopf seinen Vater ansah. Unwillkürlich flog Bens Blick zu Gebhart. Ein Krümel klebte dem Alten am Kinn, ein Krümel, auf den ihn sein Sohn mit Sicherheit hinweisen wollte. Schon verspürte Ben den Drang, den Krümel selbst mit einer zupackenden Bewegung fortzuwischen, herunterzuschlagen.
»Was ist?« Gebhart zog die Stimme lang, Betonung auf »iiiiiist«, und schüttelte den Kopf.
»Du hast dort … es ist nur ein Krümel.« Sebastian wand sich.
»Sophie?« Ben trat von den beiden zurück. Sie werden sich noch ineinander verbeißen, dachte er, der Länge nach auf den Boden schlagen.
»Sophie!« Er schrie fast und bemerkte, dass Franziska und Katharina, die wieder am Tisch Platz genommen hatten, ihm den Kopf zuwandten. Aber er hatte Sophie doch gesehen, dort hinter der Terrassentür!
Tatsächlich trat eine Frau durch die Glastür nach draußen – Ben taumelte zurück. Es war nicht Sophie – aber es war die Frau, die er vor wenigen Minuten noch vor dem Sessel hatte knien sehen, die Frau, deren Haare über die Beine des Alten geflossen waren wie in Urzeiten versteinertes Wasser, die den Alten dazu gebracht hatten, die Hände in die Armlehnen zu krallen. Eine Frau, die Ben bekannt vorkam – aber woher?
»Frau Lenz!« Geschäftig eilte Sebastian an Ben vorbei der jungen Frau entgegen. »Da sind Sie ja, ich habe meinem Vater versprochen, dass Sie uns noch kurz Gesellschaft leisten, bevor wir gehen.« Er wirbelte herum, eilte zurück zu seinem Vater. »Papa? Siehst du, ich habe es dir doch gesagt, Frau Lenz …« Er unterbrach sich, sah wieder zu ihr. »Dürfen wir Hanna sagen, wie die Kinder?« Er achtete nicht darauf, wie ihr Blick sich verschleierte, drehte sich wieder um, trat noch einen Schritt näher an seinen Vater heran. »Sie heißt Hanna, Papa, und ich wusste, dass sie noch kurz zu uns nach draußen kommen würde.«
Ben schaute zu Gebhart und blickte in das selbstgefällige Gesicht eines Mannes, der sich an einem Anblick weidet.
»Ach, halt den Mund, Basti, was redest du nur wieder für dummes Zeug.« Nachlässig wischte er mit der Hand nach hinten. »Auf Wiedersehen, Herr Lindenberger, auf Wiedersehen.« Seine Hand
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