Der Architekt
ruckte kurz hin und her. »Wir sagen Sophie, dass Sie gehen mussten. Sie brauchen wirklich nicht mehr auf sie zu warten.«
34
Am nächsten Morgen blieb Ben lange im Bett liegen. Eigentlich war es nur eine Matratze, die auf dem Boden lag. Er hatte seine Wohnung immer geliebt, putzte sie gründlich einmal die Woche, allein schon weil er allergisch reagierte, wenn sich zu viel Staub ansammelte, aber an diesem Morgen erschien sie ihm leer und unfertig, beinahe schäbig.
Immer wieder kehrten seine Gedanken zu der Villa zurück, zu Sophies Familie, Sebastian und Gebhart. Was er dort erlebt hatte, kam ihm vor wie ein Alptraum. Auch wenn er sich Mühe gab, gelang es ihm nicht, ihre Gesichter anders als in die Länge gezogen und seltsam deformiert vor sich zu sehen. Ihre Stimmen klangen in seiner Erinnerung gepresst, beinahe quäkig. Hatte er sich vor seinem Besuch den Magen verdorben? Als hätte er zwei Medikamente gleichzeitig genommen, die sich nicht vertrugen? Aber er nahm keine Medikamente.
Ben schlug die Decke zurück und stand auf. Er sollte sich einen Kaffee machen und so schnell wie möglich an die Arbeit setzen.
Den Vormittag verbrachte er mit konzentriertem Schreiben. Während die ersten Passagen des Buches, die er in den vergangenen Tagen bereits abgefasst hatte, persönlicher geraten waren und Ben darin geschildert hatte, wie er mit dem Fall Julian Götz in Berührung gekommen war, handelten die Kapitel, an denen er inzwischen arbeitete, weniger von ihm und mehr von der Gerichtsverhandlung. Von den Zeugenbefragungen, den Meinungen und Expertisen der Sachverständigen.
Von der Schlinge, die sich langsam um den Hals von Julian Götz zusammenzog.
Bens Finger tanzten über die Tastatur. Es gab Momente, da meinte er, ihnen wie losgelöst dabei zuschauen zu können, wie sie hinabstießen, jeweils den richtigen Buchstaben trafen, elastisch wieder in die Luft flogen, wie sie ein-, zweimal auf und ab wippten, bevor sie erneut zum Sturzflug auf den nächsten Buchstaben ansetzten, abwechselnd rechts und links. Wie von Zauberhand gesteuert, setzten sie Passagen zusammen, in denen der Leser eine komplette Welt auferstehen sehen würde.
Die Welt des Gerichtssaals, die Welt der Bauten des Julian Götz, eine Welt, in der nur eine von zwei Möglichkeiten wahr sein konnte: Entweder war derjenige, der Christine Götz, Svenja und Pia getötet hatte, auch derjenige, der auf der Anklagebank saß. Oder es war jemand anders, ein Täter, der frei herumlief, der jeden Tag, jeden Morgen aufstand, seinen Geschäften nachging und sich abends mit dem Wissen zu Bett legte, dass Götz in einem Prozess steckte, der eigentlich ihm, dem wahren Täter, galt.
Doch wer, wenn nicht Götz selbst, konnte dieser Täter sein? Wer konnte Christine und die beiden Mädchen ermordet haben? Sebastian? Unsinn! Dass Ben überhaupt auf diese Idee gekommen war, konnte er sich inzwischen nur noch durch die seltsame Wahrnehmungsverschiebung erklären, die gestern über ihn hereingebrochen zu sein schien.
Aber wer dann?
Bens Blick wanderte zum Fenster hinaus, in den grauen, verhangenen Himmel über der Stadt.
Oder war es Unsinn, überhaupt von einem anderen Täter auszugehen?
Nach vier Stunden versunkener, geradezu verschütteter Arbeit, an deren Ende es ihm vorgekommen war, als würde er aus den Abgründen eines kilometertiefen Schachts im Ozean wieder an die Oberfläche tauchen, stieß Ben sich von der Schreibtischplatte ab und stand auf. Er hatte etliche Tassen Kaffee in sich hineingeschüttet, wie viele genau, hätte er gar nicht zu sagen gewusst, aber den ganzen Tag noch nichts gegessen. Es war ihm nicht aufgefallen, doch jetzt hatte er das Gefühl, kurz vor einer Ohnmacht zu stehen.
Etwas wacklig auf den Beinen, ging er zu dem Haken gleich neben der Eingangstür an der Wand, nahm seinen Regenmantel und verließ die Wohnung.
Beim Araber an der nächsten Ecke kehrte er ein und bestellte einen Schawarma-Teller, den sie in diesem Imbiss mit Hühnerfleisch und für vier Euro so zubereiteten, dass ihn Ben schon immer für den besten der Stadt gehalten hatte.
Als er sich wenig später heißhungrig über das Gericht hermachte, begannen sich seine Gedanken ein wenig zu klären, und er erinnerte sich an die Entwürfe, auf die er im Arbeitszimmer der Villa gestoßen war. Arbeiten, die Ben auf Anhieb großartig vorgekommen waren und ihn tief beeindruckt hatten.
Aus dem Prozess wusste er, dass Götz ein Architekturbüro namens »Götz Town
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