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Der Assistent der Sterne

Der Assistent der Sterne

Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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einer Nacht schon frisch bezogen worden.
    Ein Hotelzimmer ist ein Kinderzimmer, dachte er.
    Man war hier aller Verantwortung enthoben. Es wurde nicht einmal Ordentlichkeit verlangt. Das Zimmer räumte sich von selbst auf. Man brauchte es nur für ein paar Stunden zu verlassen, schon war wieder alles an seinem Platz, hergerichtet von einem mütterlichen Geist. Es war märchenhaft.
    Jensen wickelte sich die erste Lage des Schals vom Hals. Die Bisswunde eiterte, die Kaschmirwolle klebte an der Haut. Er riss den Schal mit einem Ruck weg wie ein Pflaster. Knotige Verformungen in alarmierenden Farben kamen zum Vorschein, von Heilung keine Spur. Es war eindeutig Zeit für Vanackeres Salbe. Er tupfte sie sich auf die Wunde, und zunächst fühlte es sich angenehm an, kühl, freundlich, Linderung war unterwegs.
    Er legte sich aufs Bett und gab sich dem Gefühl hin, alles überstanden zu haben. Annick hatte sich entschieden, den Kontakt zu ihrer Freundin abzubrechen. Damit war auch seine Verbindung zu Trees Lachaert gekappt. Es brauchte ihn nicht mehr zu kümmern, dass Trees seine Bisswunde für ein Mördermal hielt. Diese absurde Verdächtigung! Annick würde ihr, selbst wenn sie davon erfahren sollte, jetzt keinerlei Bedeutung mehr beimessen. Und Ilunga Likasi?
    »Leb wohl«, murmelte er. Die Wahrscheinlichkeit, ihr je wieder zu begegnen, schätzte er als sehr gering ein, zumal er jetzt einen Grund mehr hatte, Antwerpen zu meiden.
    Es ist vorbei, dachte er. Es blieben noch die verräterischen Umstände seiner Begegnung mit Ilunga Likasi im Gouden Reaal. Falls Annick genauer darüber nachdachte, würde sie natürlich zum Schluss kommen, dass Ilunga Likasi und er einander kannten. Sie würde sich fragen, aus welchem Grund er ihr das verschwiegen hatte. Er hielt es jetzt aber für möglich, dass Annick, wenigstens in nächster Zeit, sich über Angelegenheiten, die Trees Lachaert betrafen, gar nicht mehr den Kopf zerbrechen wollte.
    Und wenn schon, dachte er. Falls sie ihn danach fragte, würde er antworten: Nein. Wenn eine Lüge Ilunga Likasi endgültig auf den einzigen ihr zustehenden Platz verwies, einen Platz außerhalb seines Lebens, dann würde er eben dieses Nein aussprechen.
    Und morgen, dachte er, wird Annick zum ersten Mal die Sonnenbrille abnehmen. Ein bedeutender Moment, den er fürchtete, denn er wusste, dass es sich dabei um keineLappalie handelte, weder in persönlicher noch in medizinischer Hinsicht. Er machte sich auf eine Entstellung gefasst, und darauf, dass der Anblick ihn erschüttern würde. Er lag da und machte sich Mut. Und wenn in ihren Augenhöhlen Würmer nisten, dachte er, das wird mir ganz gleichgültig sein. Es zählte doch nur, dass sie sich ihm jetzt offenbarte, dass sie ihm ihre Wunden zeigte, ihn ins Vertrauen zog, war das nicht wunderbar? Es war alles auf gutem Weg.
    Zehn Minuten später, als er auf dem Bett liegend darauf wartete, dass die Digitaluhr des Fernsehgeräts endlich 18:00 anzeigte, begann die Bisswunde sich sehr schnell zu erhitzen. Es war, als würde jemand mit einem Bunsenbrenner seinen Hals rösten. Jensen rannte ins Badezimmer, er drehte die Dusche auf, richtete den Strahl auf den Hals, der, seinem Gefühl nach, von einer ätzenden Substanz zerfressen wurde, die bereits die subkutane Gewebeschicht erreicht hatte. Erst als der letzte Rest der Salbe weggespült war, beruhigte sich die Wunde immerhin so weit, dass Jensen überhaupt wieder daran denken konnte, in der Bar ein Bier zu trinken. Im Spiegel präsentierte sich ihm die Bisswunde jetzt als tiefroter, wulstiger Fleck, der sich vom Schlüsselbein bis fast zum Ohr erstreckte.
    Vanackere! Er hatte die Wunde doch untersucht! Aber offenbar mit geschlossenen Augen, mit halbem Herz und unter Ausschaltung des Verstandes!
    Jensen versuchte, die Aufschrift auf der winzigen Tube zu lesen, er interessierte sich jetzt sehr für die Inhaltsstoffe der Salbe. Aber ohne Lesebrille war es zwecklos. Jensen hätte sich jetzt sofort eine gekauft, ohne zu zögern, zum dreifachen Preis. Er war entschlossen, zum Hauptbahnhof zu fahren. An Kiosken wurden manchmal Lesebrillen angeboten, und der Kiosk am Hauptbahnhof war bis zwanzigUhr geöffnet, vielleicht auch länger. Schließlich hatte es dann aber doch Zeit bis morgen. Er legte die Tube auf den Fernsehapparat. Sie würde ihn morgen, gleich beim Aufwachen, daran erinnern, dass er ein eitler Narr war.

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    20
    I n der Nacht suchten ihn geometrische Chimären heim, Veränderungen des Raums,

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