Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
Millionen davon schaffte man auf britischen Schiffen fort, deren Eigner ihre Geschäfte von Liverpool, Bristol, London und solch kleineren Hafenstädten an der Westküste wie Lancaster und Whitehaven aus betrieben. (Die damit vergleichbaren französischen Häfen waren Honfleur, Le Havre und – der größte von allen – Nantes.) Das gesamte britische Establishment – von der königlichen Familie bis hin zu den Oberhirten der Church of England – bezog Dividenden aus diesem Gewerbezweig. Und nicht nur die derart erlauchten Kreisen Angehörenden, die etwas von ihrem Geld investierten, um Sklavenjagden zu finanzieren, sondern jedermann auf der Britischen Insel, der so alltägliche Produkte wie Zucker, Tabak oder Rum konsumierte, profitierte von dem Handel. Es war nicht nur ein singuläres Übel, sondern auch ein in singulärer Weise alle tangierendes Übel.
    Der Handel wurde auf einer sogenannten »Dreiecksroute« abgewickelt: Waren verschiedener Art wurden von Großbritannien zu den westafrikanischen Häfen oder Sklavenforts wie Cape Coast Castle gebracht. Von diesen Orten aus wurden die Gefangenen dann über den Atlantik zu amerikanischen Sklavendepots transportiert. Nachdem das betreffende Schiff dort entladen und gereinigt worden war, ging es mit Produkten der Neuen Welt auf die Fahrt zurück nach England.

    Cape Coast Castle, eines der vielen Forts am Golf von Guinea, in das Sklavenjäger die von ihnen gefangenen Menschen trieben. Von diesen Forts aus wurden sie auf Schiffe verladen und dann in wochenlanger Fahrt, auf der sie fürchterliche Qualen und Entbehrungen litten, in die Neue Welt geschafft.
    Und so stachen die Kapitäne der Sklavenschiffe mit kleinen Wasserfahrzeugen, die man snows nannte, mit Barken oder Briggs oder auch mit dreimastigen Rahseglern, die man, was für moderne Ohren etwas seltsam klingt, formell als ships bezeichnete, mit voller Ladung von England aus in See. Sie hatten Order, zu den Häfen an der Küste Westafrikas zu fahren und dort die mitgeführten Güter als Tauschobjekte zu verwenden, um, wir ihr stehender Befehl lautete, »so viele gut absetzbare Sklaven zu erwerben wie möglich«. Mit Matrosen bemannt, die von »Pressgangs«, welche in Hafenkneipen auf die Jagd nach betrunkenen oder einfältigen jungen Männern gingen, zum Dienst an Bord gezwungen oder manchmal auch überredet worden waren, und bis unter die Oberdecksplanken mit für Afrika bestimmten Waren angefüllt, gingen die Schiffe auf Fahrt. Sie führten vor allem so begehrte Erzeugnisse wie Musketen, Filzhüte, eiserne Messer, Fässer, Behälter aus Messing, Schießpulver, Baumwolltuch und Feuersteine für Schusswaffen mit. Im Ladeverzeichnis eines Schiffs, der Pilgrim , die 1790 von Bristol aus in See stach, scheinen etwas bizarrere Artikel auf wie »1 Truhe voll ostindischer Güter, 4 Kisten mit Hörnern, 31 12 Kisten mit Kaliko, 2 puncheon 32 Rum und 15 Dutzend Flaschen Wein«. Hugh Crow, ein – obwohl einäugiger – sehr erfolgreicher Sklavenhändler von der Isle of Man, machte es sich zur Regel, immer erst Rotterdam und die Insel Jersey anzulaufen, um dort weitere Spirituosen zum Eintausch gegen Sklaven zu erwerben (zu einem wesentlich niedrigeren Preis als in England), da die meisten seiner Geschäftspartner in Westafrika nichts lieber mochten als einen richtigen Rachenputzer.
    Die meisten Schiffe segelten auf der petite route , wie die Franzosen sie nannten, nach Süden, das heißt, sie hielten erst auf die Kanarischen und die Kapverdischen Inseln zu, bevor sie einen Schwenk in Richtung auf die jetzt im Osten liegende afrikanische Küste machten. Sie verschacherten zunächst die mitgebrachten Waren, meist gegen ziemlich gewöhnliche Gegenstände wie Eisenbarren, Kupferbarren und Längen von Stoff, die zu einem gängigen Zahlungsmittel beim Einkauf von Sklaven geworden waren. Über Jahre hinweg blieben die Preise in dieser Währung – die Eisenbarren sahen wie die Stangen eines Treppengeländers aus – ziemlich stabil. Dem berühmten Geschäftsbuch zufolge, das von Reverend Newton geführt wurde, musste man für einen männlichen Sklaven am Senegal River Mitte des 18. Jahrhunderts siebzig dieser Barren hinlegen; für eine Frau hatte Newton, obwohl sie »mit einem schlimmen Maul« angeboten wurde, dreiundsechzig Barren zu entrichten gehabt, während eine andere zum »viel zu hohen Preis von 86 Barren« den Besitzer gewechselt hatte. (Zum Vergleich: Ein Sack mit zwei Pfund Schießpulver war zwei Barren wert.)
    Und

Weitere Kostenlose Bücher