Der Aufgang Des Abendlandes
Fischen, die ältesten Säugetiere aber, die Riesenkänguruhs, waren Zeitgenossen
der Saurier und damit des Menschen. So liegt theoretisch kein stichhaltiger Grund vor, dem Urmenschen ein ungemein
ehrwürdiges Alter zu verweigern; darüber handelten wir in früherem Abschnitt.
Wäre Darwins Theorie richtig, so müßten alle bekannten Tatsachen sie eindeutig stützen; statt dessen
widersprechen sie alle, besonders innerhalb der allein beobachtungsreifen historischen Zeitalter, selbst wenn wir diese bis
zum Aurignacier ausdehnen. Bleibt also nichts als die Ähnlichkeit morphologischen Baus, wobei aber auch gar nichts
für wechselseitige Abstammung folgert. Stammt ein Arier etwa deshalb von einem Neger ab, weil beide die gleichen
Halswirbel und Schlüsselbeine haben, oder der Neger vom Gorilla, weil beide Hände haben, d. h. Greifwerkzeuge, was
an sich nichts Besonderes ist, wenn man die Pfoten der Mieze und des Eichhörnchens und anderer Nager vergleicht, die
ganz wie Hände verwendet werden? Dann wäre auch der Elefant ein naher Verwandter des Menschen, denn er braucht
seinen Nasenrüssel als feinfühligste Hand, ein Triumph des Individuellen in der Natur. Der Gorilla hat sogar eine
besser gebildete Hand als der Neger, man müßte ihn also an die Spitze der andern Anthropoiden stellen, die aber
intellektuell über ihm stehen. Die Tragweite hiervon wird nicht begriffen: bei mechanischer Entwicklung wäre
unmöglich, daß Hirn und Hand, dies bedeutungsvolle Organ, sich nicht gleichmäßig ausbilden. Um so
seltsamer, daß der Gorilla mit seiner bessern Hand noch weniger anzufangen weiß als der Orang, und gar der Neger
mit seinen ungelenken Fingern sich Waffen und Werkzeuge schafft.
»Schottische Vettern« zeigen, wie weit man den Begriff Verwandtschaft ausdehnen darf. Nun fällt uns ja
nicht ein, die Verwandtschaft aller Organismen als einer einzigen großen Empfindungsgemeinschaft zu leugnen.
Theologischer Widerstand gegen biologische Zoologie ist lächerlich, menschlicher Größenwahn in Ablehnung
körperlicher Tierverwandtschaft trifft gar nicht den Kern der Frage. Wenn Rechenberg »nach jahrelangem
Suchen« eine glückliche Erklärung für die Identität animalischer Struktur gefunden zu haben sich
freut, so ist dies wahrlich das Ei des Kolumbus, denn die Antwort lag ja stets für jeden Denkenden in den Dogmen der
Naturwissenschaft selber, im richtigverstandenen Begriff der Anpassung. Da alle animalischen Wesen sich unter gleichen
chemophysikalischen Bedingungen der Atmung, Ernährung, Bewegung in Kraft umsetzten, können selbstverständlich
ihre Organe und ihr Knochenbau nur identisch oder wenigstens höchst ähnlich sein. Jedes Tier muß
Blutkreislauf und Nervenstränge, sogar der Fisch Leber und Kiemenlunge haben, um leben zu können. Hätte daher
der auf gleicher Erde unter gleicher Luft lebende Körpermensch eine andere Struktur als das Säugetier, so
müßte er als Fabelwesen außerhalb der Erde existieren. Dieser natürliche Vorgang ist keineswegs
mechanisch, vielmehr widerspricht solche Auslegung sogar den falschen Prämissen der Anpassung, die ja an und für
sich nur ein psychischer Willensakt ist. Das Psychische als bloße Begleiterscheinung molekularer Schwingungen und
chemischer Umsetzung der Gehirnzellen, welch naiver Spaß! Denn wäre es nur wie das Chemische und Physikalische
eine äußere Potenz des Stoffes, so würde chemisch-physikalische Rotation als Lebensursache gleich
nichtsbedeutend sein wie die geistige und dann gibt es auch keine mechanische Erklärung der Stoffbildung, denn was ist
Stoff an sich? Wohl das Ding-ansich, empirisch ein unbekanntes X! Ob sich das fingierte Atom, selber eine Hypothese,
physikalisch bewegt, entzieht sich jeder Betrachtung, und von blinden Naturgesetzen zu schwafeln, ist Art von Blinden, die
von der Farbe reden. Alles Denken seit Urzeit ergibt, daß das psychologische Element im Leben das Primäre und der
physische Eindruck das Sekundäre bedeutet.
Rechenberg verbreitet sich weitläufig über Uraltgewußtes, daß nämlich unmittelbares
Ichbewußtsein das erste Wahrgenommene sei, wobei vorerst der eigene Körper und die Außenwelt gar nicht in
Frage kommen. Das ist gewißlich wahr, niemand darf leugnen, daß vor aller äußern Erfahrung die
Lebensempfindung besteht. Daß in uns die Anschauung der Zeit und »vermittels der Zeit« die Erinnerung
unmittelbar gegeben sei, diese fragwürdige Kategorie hätte er sich ebenso sparen
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