Der Augenblick der Liebe
Gefangensein als Verneintsein erlebst, um so deutlicher erlebst du diese Kraft, die wirkt, als könntest du alles, was du willst. Das kann doch nicht nur eine Einbildung sein, ein Schattenkringel an der Wand der Zelle, in die keine Sonne fällt? Die Frage ist die Antwort. Kolumbus hatte die Him melsrichtung. Der Rest war Seemannschaft. Die Sprache, in der du es jetzt ausdrückst, ist eine Sklavensprache. Sie ist ein Signal. Verständlich, hoffst du, denen, die auch in einer Gefangenschaft leben. Vielleicht ruft einer zurück. Oder viele rufen zurück. Illusion. Des Gefangenen. Daß das so ist, ist dir denkbar geworden durch den emsigen Umgang mit dem, der die Ketten des Vorurteils und der Schuldgefühle zerbrach. Julien Offray de La Mettrie. Der Umgang mit ihm wird fortgesetzt. Am 20. Mai 1887 schrieb Nietzsche an einen Freund: «Die Behauptung Plato¹s, daß man mit Massage sogar Gewissensbisse heilen könne, verdiente, erprobt zu werden.» Heureka!
Das durfte sie doch wohl Glück nennen. So muß es auf dem KolumbusSchiff gewesen sein, als die Neue Welt in Sicht kam. Ein aus dem Innersten stammender Jubellaut, der da drin schon so lange gewartet hatte, immer unterdrückt, immer wieder belehrt, daß es noch nicht so weit sei, daß es vielleicht überhaupt nie so weit sein werde, daß er, der Jubellaut, wahrscheinlich, höchstwahrscheinlich sogar, für immer und ewig im dunkelsten Innersten zu bleiben und dort gespensterhaft zu verkümmern habe. Und jetzt durfte er heraus, der Jubellaut. Der Laut entrang sich ihr. Er hatte Mühe, herauszugelangen. Es war die Geburt eines Lauts. Sie, die Befreierin. Und das würde Gottlieb W. Zürn in Berkeley öffentlich kundtun! Er würde nach Amerika gekommen sein, weil er sich, wie MontaigneLa Mettrie es empfehlen, zum Thema gemacht und damit der Aufgabe, über La Mettrie zu sprechen, beispielhaft entsprochen hat.
Und sie fing an, den Schicksalstext zu übersetzen. Das Befreiungsevangelium, die Frohe Botschaft. Sie hatte noch nie einen Text übersetzt, den man, wenn man ihn las, voll kommen versteht, aber nachher, wenn man ihn übersetzen will, sträubt er sich. Deutsch teilt er sich einfach mit. Aber wenn man diese Einfachheit ins Englische überträgt, ist sie nicht mehr da.
Den Verfasser anrufen. Egal, wer da an den Apparat kam. Und prompt kam sie. Mein Mann ist im Augenblick nicht zu sprechen. Die wußte Bescheid. Die würde ihrem Mann nicht einmal mitteilen, daß er aus Amerika angerufen worden war. Es geht um den Vortragstext, hatte sie noch, zunehmend hilflos, in den Hörer gerufen. Aufgelegt. Das Transatlantik rauschen. Mein Mann. Das besitzanzeigende Fürwort. Aber Beate konnte nicht aufgeben. Sie rechnete. Wenn die Frau in Pfullendorf und sonst wo war, mußte er an den Apparat kommen. Der Gefangene. Und er kam an den Apparat. Sie jubelte. Ihm zu. Dem Text zu. Gestand aber unterwürfig, daß sie das nicht ohne ihn ins Englische zu bringen wage. Sie macht eine Rohfassung. Dieses Wort endlich in einer sie begeisternden Verwendung. Er kommt, dann schmiegen sie gemeinsam den Text ins Englische. Das heißt aber, daß er nicht vierundzwanzig Stunden vor der Tagung eintrifft, sondern vier, fünf, am besten sechs oder sieben Tage. Am Montag, dem 19. März. Sie wird freinehmen. Das wird nicht leicht sein. Sie kann das nur fordern, weil die Übersetzung das fordert. Er klang sowohl glücklich wie bedenklich. Am liebsten käme er vierzehn Tage vorher, aber er wisse schon jetzt, daß mehr als vier Tage vorher nicht drin seien. In was
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