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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Gefangensein  als  Verneintsein  erlebst,  um  so  deutlicher  erlebst  du  diese  Kraft,  die  wirkt,  als  könntest  du  alles,  was  du willst. Das kann doch nicht nur eine Einbildung sein, ein  Schattenkringel  an  der  Wand  der  Zelle,  in  die  keine  Sonne  fällt?  Die  Frage  ist  die  Antwort.  Kolumbus  hatte  die  Him melsrichtung.  Der  Rest  war  Seemannschaft.  Die  Sprache,  in  der du es jetzt ausdrückst, ist eine Sklavensprache. Sie ist ein  Signal.  Verständlich,  hoffst  du,  denen,  die  auch  in  einer  Gefangenschaft leben. Vielleicht ruft einer zurück. Oder viele  rufen zurück. Illusion. Des Gefangenen. Daß das so ist, ist dir  denkbar  geworden  durch  den  emsigen  Umgang  mit  dem,  der  die  Ketten  des  Vorurteils  und  der  Schuldgefühle  zerbrach. Julien Offray de La Mettrie. Der Umgang mit ihm  wird fortgesetzt. Am 20. Mai 1887 schrieb Nietzsche an einen  Freund:  «Die  Behauptung  Plato¹s,  daß  man  mit  Massage  sogar  Gewissensbisse  heilen  könne,  verdiente,  erprobt  zu  werden.» Heureka! 
 
Das durfte sie doch wohl Glück nennen. So muß es auf dem  KolumbusSchiff  gewesen  sein,  als  die  Neue  Welt  in  Sicht  kam.  Ein  aus  dem  Innersten  stammender  Jubellaut,  der  da  drin  schon  so  lange  gewartet  hatte,  immer  unterdrückt,  immer wieder belehrt, daß es noch nicht so weit sei, daß es  vielleicht  überhaupt  nie  so  weit  sein  werde,  daß  er,  der  Jubellaut,  wahrscheinlich,  höchstwahrscheinlich  sogar,  für  immer  und  ewig  im  dunkelsten  Innersten  zu  bleiben  und  dort gespensterhaft zu verkümmern habe. Und jetzt durfte er  heraus,  der  Jubellaut.  Der  Laut  entrang  sich  ihr.  Er  hatte  Mühe, herauszugelangen. Es war die Geburt eines Lauts. Sie,  die Befreierin. Und das würde Gottlieb W. Zürn in Berkeley  öffentlich kundtun! Er würde nach Amerika gekommen sein,  weil  er  sich,  wie  MontaigneLa  Mettrie  es  empfehlen,  zum  Thema gemacht und damit der Aufgabe, über La Mettrie zu  sprechen, beispielhaft entsprochen hat. 
Und  sie  fing  an,  den  Schicksalstext  zu  übersetzen.  Das  Befreiungsevangelium,  die  Frohe  Botschaft.  Sie  hatte  noch  nie  einen  Text  übersetzt,  den  man,  wenn  man  ihn  las,  voll kommen  versteht,  aber  nachher,  wenn  man  ihn  übersetzen  will,  sträubt  er  sich.  Deutsch  teilt  er  sich  einfach  mit.  Aber  wenn  man  diese  Einfachheit  ins  Englische  überträgt,  ist  sie  nicht mehr da. 
Den Verfasser anrufen. Egal, wer da an den Apparat kam.  Und prompt kam sie. Mein Mann ist im Augenblick nicht zu  sprechen. Die wußte Bescheid. Die würde  ihrem  Mann nicht  einmal mitteilen, daß er aus Amerika angerufen worden war.  Es  geht  um  den  Vortragstext,  hatte  sie  noch,  zunehmend  hilflos,  in  den  Hörer  gerufen.  Aufgelegt.  Das  Transatlantik rauschen.  Mein  Mann.  Das  besitzanzeigende  Fürwort.  Aber  Beate konnte nicht aufgeben. Sie rechnete. Wenn die Frau in  Pfullendorf  und  sonst  wo  war,  mußte  er  an  den  Apparat  kommen.  Der  Gefangene.  Und  er  kam  an  den  Apparat.  Sie  jubelte. Ihm zu. Dem Text zu. Gestand aber unterwürfig, daß  sie  das  nicht  ohne  ihn  ins  Englische  zu  bringen  wage.  Sie  macht  eine  Rohfassung.  Dieses  Wort  endlich  in  einer  sie  begeisternden  Verwendung.  Er  kommt,  dann  schmiegen  sie  gemeinsam  den  Text  ins  Englische.  Das  heißt  aber,  daß  er  nicht  vierundzwanzig  Stunden  vor  der  Tagung  eintrifft,  sondern  vier,  fünf,  am  besten  sechs  oder  sieben  Tage.  Am  Montag, dem 19. März. Sie wird freinehmen. Das wird nicht  leicht  sein.  Sie  kann  das  nur  fordern,  weil  die  Übersetzung  das  fordert.  Er  klang  sowohl  glücklich  wie  bedenklich.  Am  liebsten  käme  er  vierzehn  Tage  vorher,  aber  er  wisse  schon  jetzt, daß mehr als vier Tage vorher nicht drin seien. In was 

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