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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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drin, dachte sie und sagte: Wenn du meinst. Er so kleinlaut  wie noch nie: Ich nicht, aber ... Und ließ den Satz routiniert  hängen. Sie sagte: Ich verstehe. Und er: Danke. Sie legte auf.  Warum  wurde  es  ihr  jetzt  nicht  schlecht!  Warum  kotzte  sie  jetzt  nicht!  Weil  sie  es  nachher  selber  wieder  aufputzen  müßte.  Nein,  nein.  Einer  Frau  in  historischer  Funktion  und  Mission wird es nicht mehr schlecht. Sie wird gebraucht. Sie  ist  die  Befreierin.  Und  das  ist  weder  Anmaßung  noch  Einbildung.  Rise to the Occasion.  
Wie  immer  Anfang  März,  die  floridasüchtigen  Eltern.  Die  Wellensittiche  als  Vorwand,  in  North  Carolina  Station  zu  machen  und  der  Tochter  zu  Taten  zu  raten,  zu  Eltern entlastungstaten.  Keine  Antique  Malls  diesmal.  Die  Mutter  machte einen gesättigten Eindruck. Sie hatte gerade per eBay  ein zwölfteiliges MeißenService, produziert 1935, für ganze  sechzehnhundert  Dollar  erschachert  und  in  abenteuerlicher  Fahrt droben in New Hampshire selber abgeholt. Der Vater  fragte wie immer, ob ein Heiratskandidat in Arbeit sei, und  fragte  wieder  so,  daß  er  seine  Art  zu  fragen  für  taktvoll  halten konnte. Sie klagte nicht − und über nichts. Schon lange  nicht  mehr.  Sie  hatte  einmal,  beiläufig,  eine  Verstimmtheit  mit  these  days  of  the  month  begründet,  darauf  der  Vater:  Was sie beklage, habe sie sich selbst zuzuschreiben, solange  sie  sich  ihrer  weiblichen  Bestimmung  verweigere.  Seitdem  vermied sie in seiner Gegenwart jede Art Klage. Er dagegen  klagte  auch  diesmal  und  wie  immer:  Noch  nie  sei  es  so  schwer  gewesen  wie  jetzt,  deutsche  Autos  in  New  York  zu  verkaufen.  Und  dann  auch  noch  von  Mercedes.  Die  oberschlauen  Bayern  hätten  in  New  York  einmal  einen  installiert,  der  sei  beim  Jungvolk  gewesen,  B¹nai  Brith  habe  das  als  harmlos  bezeichnet,  da  der  hier  schon  zweimal  verheiratet  gewesen  sei,  zweimal  mit  einer  Jüdin,  zweimal  nach  jüdischem  Ritus.  Und  schaute  dabei  seine  Frau  fast  vorwurfsvoll an. Also sagte sie: Dann hau doch ab. Er nickte  ganz  langsam  und  sagte,  er  wolle  doch  nur  sagen,  daß  es  nicht  leicht  sei.  Und  sie  vollendete:  Deutsche  Autos  zu  verkaufen,  ja,  ja.  Und  er,  weil  sie  das  ausgelassen  hatte:  In  New  York.  Da  mußte  die  Tochter  dann  doch  sagen:  New  York  ist  Spitze.  Und  der  Vater:  Eines  Eisbergs.  Sie  mußte  sagen: Ach, Papa. Und ihn ein bißchen küssen. 
Am dritten Tag lag der Blaue, also Hansel, reglos im Käfig.  Und  der  Gelbgrüne,  also  Gretel,  saß  reglos  stumm  auf  der  Stange und sah auf Hansel hinab. Hansel war tot. Alt war er  noch  nicht  gewesen.  Als  sie  gestern  heimgekommen  war,  hatten beide sich benommen wie immer. Immer ein bißchen  zu laut. Vielleicht hatte Hansel das Genick gebrochen. Hatte  Gretel mit einem Kunststück imponieren wollen. Sie wickelte  ihn ein, trug ihn hinaus, kratzte in dem kleinen Park mit der  Büroschere  ein  Grab,  beerdigte  ihn,  am  nächsten  Morgen  kaufte  sie  im  Zoogeschäft  einen  Nachfolger.  Taufte  ihn  Hansel.  Der  benahm  sich  überlebendig.  Der  benahm  sich  genau  so  wie  sich  Hansel  noch  gestern  benommen  hatte.  Gretel akzeptierte ihn. Also würde die Mutter nichts merken.  Die Eltern rauschten floridagesättigt herein, bedauerten ihre  arme  Tochter  ebenso  sehr,  wie  sie  sie  bewunderten −  Tag  und Nacht sitzt die und übersetzt diesen vertrackten Text für  die Tagung −, luden Hansel und Gretel ein, verstanden, daß  die  Tochter  dieses  Mal  überhaupt  nicht  gesellig  war,  und  waren fort. 
Er  würde  an  einen  Pfeiler  gelehnt  stehen.  Sie  war  all mählich  im  Stande,  sich  nur  noch  mit  Konkretem  zu  be schäftigen. Keine Panikszenarien mehr. Nur noch, was Sache  ist  beziehungsweise  sein  wird.  Wie 

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