Der Augenblick der Liebe
drin, dachte sie und sagte: Wenn du meinst. Er so kleinlaut wie noch nie: Ich nicht, aber ... Und ließ den Satz routiniert hängen. Sie sagte: Ich verstehe. Und er: Danke. Sie legte auf. Warum wurde es ihr jetzt nicht schlecht! Warum kotzte sie jetzt nicht! Weil sie es nachher selber wieder aufputzen müßte. Nein, nein. Einer Frau in historischer Funktion und Mission wird es nicht mehr schlecht. Sie wird gebraucht. Sie ist die Befreierin. Und das ist weder Anmaßung noch Einbildung. Rise to the Occasion.
Wie immer Anfang März, die floridasüchtigen Eltern. Die Wellensittiche als Vorwand, in North Carolina Station zu machen und der Tochter zu Taten zu raten, zu Eltern entlastungstaten. Keine Antique Malls diesmal. Die Mutter machte einen gesättigten Eindruck. Sie hatte gerade per eBay ein zwölfteiliges MeißenService, produziert 1935, für ganze sechzehnhundert Dollar erschachert und in abenteuerlicher Fahrt droben in New Hampshire selber abgeholt. Der Vater fragte wie immer, ob ein Heiratskandidat in Arbeit sei, und fragte wieder so, daß er seine Art zu fragen für taktvoll halten konnte. Sie klagte nicht − und über nichts. Schon lange nicht mehr. Sie hatte einmal, beiläufig, eine Verstimmtheit mit these days of the month begründet, darauf der Vater: Was sie beklage, habe sie sich selbst zuzuschreiben, solange sie sich ihrer weiblichen Bestimmung verweigere. Seitdem vermied sie in seiner Gegenwart jede Art Klage. Er dagegen klagte auch diesmal und wie immer: Noch nie sei es so schwer gewesen wie jetzt, deutsche Autos in New York zu verkaufen. Und dann auch noch von Mercedes. Die oberschlauen Bayern hätten in New York einmal einen installiert, der sei beim Jungvolk gewesen, B¹nai Brith habe das als harmlos bezeichnet, da der hier schon zweimal verheiratet gewesen sei, zweimal mit einer Jüdin, zweimal nach jüdischem Ritus. Und schaute dabei seine Frau fast vorwurfsvoll an. Also sagte sie: Dann hau doch ab. Er nickte ganz langsam und sagte, er wolle doch nur sagen, daß es nicht leicht sei. Und sie vollendete: Deutsche Autos zu verkaufen, ja, ja. Und er, weil sie das ausgelassen hatte: In New York. Da mußte die Tochter dann doch sagen: New York ist Spitze. Und der Vater: Eines Eisbergs. Sie mußte sagen: Ach, Papa. Und ihn ein bißchen küssen.
Am dritten Tag lag der Blaue, also Hansel, reglos im Käfig. Und der Gelbgrüne, also Gretel, saß reglos stumm auf der Stange und sah auf Hansel hinab. Hansel war tot. Alt war er noch nicht gewesen. Als sie gestern heimgekommen war, hatten beide sich benommen wie immer. Immer ein bißchen zu laut. Vielleicht hatte Hansel das Genick gebrochen. Hatte Gretel mit einem Kunststück imponieren wollen. Sie wickelte ihn ein, trug ihn hinaus, kratzte in dem kleinen Park mit der Büroschere ein Grab, beerdigte ihn, am nächsten Morgen kaufte sie im Zoogeschäft einen Nachfolger. Taufte ihn Hansel. Der benahm sich überlebendig. Der benahm sich genau so wie sich Hansel noch gestern benommen hatte. Gretel akzeptierte ihn. Also würde die Mutter nichts merken. Die Eltern rauschten floridagesättigt herein, bedauerten ihre arme Tochter ebenso sehr, wie sie sie bewunderten − Tag und Nacht sitzt die und übersetzt diesen vertrackten Text für die Tagung −, luden Hansel und Gretel ein, verstanden, daß die Tochter dieses Mal überhaupt nicht gesellig war, und waren fort.
Er würde an einen Pfeiler gelehnt stehen. Sie war all mählich im Stande, sich nur noch mit Konkretem zu be schäftigen. Keine Panikszenarien mehr. Nur noch, was Sache ist beziehungsweise sein wird. Wie
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