Der Azteke
erscheinen, und so sagte ich: »Dann werden die Heere des Dreibunds wieder Seite an Seite kämpfen. Warum nennt Ihr es dann einen Krieg gegen Texcóco?«
Schwermütig sagte der staubbedeckte alte Mann: »Ahuítzotl behauptet, fast alle seine Mexíca-Streitkräfte und seine Verbündeten, die Tecpanéca, kämpften noch im Westen, in Michihuácan, und könnten daher nicht gegen Texcála antreten. Doch das ist nur eine wenig überzeugende Ausrede. Ahuítzotl fühlt sich durch den Prozeß und die Hinrichtung seiner Tochter sehr vor den Kopf gestoßen.«
»Er kann doch aber nicht leugnen, daß sie es verdient hat.«
»Das macht ihn ja nur um so rasender und rachsüchtiger. Deshalb hat er angeordnet, daß Tenochtítlan und Tlácopan nur eine ganz kleine Truppe gegen die Texcála ausschicken – und Texcóco den Hauptteil des Heeres zu stellen hat.« Der staubbedeckte Mann schüttelte den Kopf. »Neunundneunzig von hundert Männern, die kämpfen und fallen werden in dem Bemühen, Gefangene als Opfer für die Einweihung der Großen Pyramide zu machen, werden vielleicht Acólhua sein. Das ist Ahuítzotls Art, den Tod von Jadestein Puppe zu rächen.«
Ich sagte: »Jeder wird einsehen, daß es ungerecht ist, wenn die Acólhua die Hauptlast des Krieges zu spüren bekommen. Und Nezahualpíli kann sich doch bestimmt weigern.«
»Ja, das könnte er«, sagte der Reisende mit müder Stimme. »Das jedoch könnte den Dreibund sprengen – und den leicht erregbaren Ahuítzotl möglicherweise sogar veranlassen, Texcóco einen richtigen Krieg zu erklären.« Womöglich noch schwermütiger, fuhr er fort: »Außerdem könnte es sein, daß Nezahualpíli das Gefühl hat, er müsse doch dafür sühnen, daß er das Mädchen hat hinrichten lassen.«
»Was?« sagte ich entrüstet. »Nach dem, was sie ihm angetan hat?«
»Selbst dafür fühlt er sich vermutlich bis zu einem gewissen Grade verantwortlich. Weil er sie möglicherweise vernachlässigt hat, vielleicht. Und genauso sollten sich vielleicht auch andere dafür verantwortlich fühlen.« Die Augen des Wanderers waren eindringlich auf mich gerichtet, und unversehens beschlich mich Unbehagen. »Für diesen Krieg wird Nezahualpíli jeden Mann brauchen, den er bekommen kann. Zweifellos wird er Freiwillige freundlich betrachten und vermutlich jede Ehrenschuld, die sie möglicherweise gegen ihn empfinden, als abgetragen betrachten.«
Schluckend sagte ich: »Verehrungswürdiger, es gibt Männer, die in einem Krieg zu nichts nütze sind.«
»Dann können sie immer noch darin fallen«, sagte er unbewegt. »Um des Ruhms, um der Sühne, um der Abzahlung einer Ehrenschuld willen, um eines glücklichen Lebens in der Gegenwelt der Krieger willen, um vieler anderer Gründe willen. Einst habe ich dich von deiner Dankbarkeit Nezahualpíli gegenüber reden hören und deiner Bereitschaft, sie auch zu beweisen.«
Langes Schweigen senkte sich zwischen uns. Dann, gleichsam als wechselte er gleichmütig das Thema, erklärte der staubbedeckte alte Mann im Plauderton: »Es geht das Gerücht, daß du Texcóco bald verlassen wirst. Wenn es dir freigestellt würde – wohin würdest du gehen?«
Lange dachte ich darüber nach. Die Dunkelheit verdichtete sich, und der Nachtwind fing an, stöhnend über den See zu fahren, als ich endlich sagte: »In den Krieg, Verehrungswürdiger, ich werde in den Krieg ziehen.«
Das mußte man gesehen haben: wie das große Heer auf der leeren Ebene östlich von Texcóco Aufstellung nahm. Ein Wald von Speeren, leuchtende Farben und überall das Glitzern der Sonne auf den Obsidianklingen. Alles in allem müssen es vier- bis fünftausend Mann gewesen sein, wohingegen die Verehrten Sprecher Ahuítzotl von den Mexíca und Chimalpopóca von den Tecpanéca – genauso, wie der alte staubbedeckte alte Mann es vorhergesagt hatte – jeweils nur eine Hundertschaft entsandt hatten, die überdies kaum aus ihren besten Kriegern bestand, handelte es sich doch zumeist um betagte Veteranen und unerfahrene junge Rekruten.
Wo Nezahualpíli der oberste Kriegsführer war, ging es vor allem um Organisation und Schlagkraft. Riesige Federbanner ließen erkennen, wo die nach Tausenden zählenden Hauptverbände der Acólhua und die unbedeutende Handvoll aus Tenochtítlan und Tlácopan standen. Bunte Flaggen aus Tuch kennzeichneten die Einheiten, die unter dem Kommando von Rittern standen und noch kleinere flatterten vor den von Cuächictin oder Unterführern kommandierten Einheiten. Es gab auch noch
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