Der Azteke
mußte, und trieb ihn abermals – und zwar abermals mit größter Genauigkeit – in die Höhe und hindurch durch den hochsitzenden Ring. Nicht einmal Nezahualpíli selbst schien recht zu glauben, was ihm gelungen war. Den Ball zweimal nacheinander durch den Siegesring getrieben zu haben, das war mehr als ein Wunder, mehr als alles, was je an Ruhmestaten in den Annalen des Spiels aufgezeichnet worden war – es war einfach eine unfaßliche Leistung!
Kein Laut löste sich von den Lippen der Zuschauer. Wir wagten es kaum, uns zu regen, nicht einmal unsere Augen, welche fassungslos auf diesen Verehrten Sprecher gerichtet waren. Dann hob ein vorsichtiges Raunen unter den Zuschauern an. Etliche von den Adligen tuschelten Hoffnungsvolles: Tlaloc müsse sich so mächtig über uns gefreut haben, daß er höchstpersönlich in das Spiel eingegriffen habe. Andere deuteten Verdächtigungen an: Nezahualpíli habe die Spiele durch verschlagene Zauberei gewonnen – doch sagten sie das nicht laut. Die Edelleute aus Texcóco wiesen diesen Vorwurf entrüstet von sich, jedoch nicht laut. Überhaupt schien niemand ein lautes Wort sagen zu wollen. Selbst Cuitláhuac knurrte nicht vernehmlich, als er mir den schweren Lederbeutel mit dem Goldstaub darin überreichte. Nochipa betrachtete mich mit sehr ernstem Gesicht, gleichsam als argwöhne sie, insgeheim sei mir eine Vision über den Ausgang des Spiels zuteil geworden.
Jawohl, ich gewann an diesem Tag eine große Menge Gold – weil meine Ahnung mich nicht trog, oder weil ich mir einen Rest von Treue meinem ehemaligen Gönner gegenüber bewahrt hatte, oder was mich sonst getrieben haben mag, auf meinen einstigen Herrn und Gebieter zu setzen. Doch würde ich all das Gold hergeben – wenn ich es noch hätte –, ja, würde mehr als nur das hergeben, ayya, tausendmal tausendmal mehr als das – wenn ich an diesem Tage nicht gewonnen hätte.
Ach, meine Herren Skribenten, nicht nur, weil Nezahualpílis Sieg die Gültigkeit von Nezahualpílis Vorhersage bestätigte, daß es eines Tages zu einer Bedrohung vom Meer her kommen werde. Das hielt ich damals selbst schon für wahrscheinlich; die rohe Zeichnung der Maya hatte mich davon überzeugt. Nein, der Grund, warum ich Nezahualpílis Sieg so bitter beklage, ist darin zu suchen, daß er schon viel früher ein Unglück herbeibrachte – und zwar für niemand anderen als für mich.
Ich geriet augenblicklich wieder in Schwierigkeiten, kaum daß Motecuzóma zornbebend das Spielfeld verlassen hatte.
Denn als die Zuschauer die Sitze und den Tlachtli-Platz an diesem Tag verließen, wußten sie irgendwie alle, daß es bei diesem Wettspiel um mehr als die beiden Verehrten Sprecher gegangen war – daß es ein Kräftemessen zwischen ihren jeweiligen Sehern und Sagern gewesen war. Alle begriffen, daß Nezahualpílis Sieg seinen schicksalschweren Prophezeiungen Glaubhaftigkeit verlieh – und wußten, um was es bei diesen Vorhersagen ging. Vermutlich war es einer von Nezahualpílis Höflingen, welcher diese Dinge durchsickern ließ, als er versuchte, im Keim das Gerücht zu ersticken, sein Herr habe die Spiele durch Zauberei gewonnen. Alles, was ich mit Gewißheit weiß, ist, daß die Wahrheit ans Licht kam und daß ich daran nicht beteiligt war.
»Wenn du nichts damit zu tun hattest«, erklärte der eisige Motecuzóma zornbebend, »wenn du also nichts getan hast, was eine Bestrafung verdient, dann bestrafe ich dich selbstverständlich auch nicht.«
Nezahualpíli hatte Tenochtítlan soeben verlassen. Die beiden Palastwachen hatten mich nahezu mit Gewalt vor Motecuzómas Thron gebracht, und der Verehrte Sprecher hatte mir gerade enthüllt, was mir blühte.
»Aber mein Hoher Gebieter befiehlt mir, ein kriegerisches Unternehmen zu leiten«, erhob ich Einspruch und verstieß dabei gegen jedes Protokoll. »Wenn das keine Bestrafung ist, so ist es eine Verbannung, und ich habe nichts getan …«
Er unterbrach mich. »Bei dem Kommando, welches ich dir übertrage, Adlerritter, geht es um eine Vorsichtsmaßnahme. Alle Vorzeichen deuten darauf hin, daß die einfallenden Horden, so sie überhaupt kommen, aus dem Süden kommen werden. Infolgedessen ist es unsere Pflicht und unsere Schuldigkeit, unsere südlichen Verteidigungsanlagen zu stärken. Wenn deinem Unternehmen Erfolg beschieden ist, werde ich andere Ritter ausschicken, weitere Auswanderer in jene Gebiete zu führen.«
»Aber Hoher Gebieter« – ich ließ nicht locker –, »ich habe keine Ahnung,
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