Der Azteke
mitleiderregenden alten Mann gesehen – einen verhutzelten, kakaobraunen alten Mann. Ich glaube, an diesem Tag des Tlachtli-Wettspiels habe ich Nezahualpíli das letztemal so tun sehen, als sei er alt und klapprig, als er das erste Spiel spöttisch an Motecuzóma gehen ließ.
Doch keine Theorie, meine eigene eingeschlossen, vermag das Wunder zu erklären, zu dem es dann kam. Motecuzóma und Nezahualpíli stellten sich für das zweite Spiel auf, und da Motecuzóma das erste gewonnen hatte, stand ihm der Anstoß zu. Er stieß den Ball mit dem Knie hoch in die Luft. Und das war das letzte Mal, daß er ihn berührte.
Nach dem, was beim ersten Spiel vor sich gegangen war, waren aller Augen auf Motecuzóma gerichtet und erwarteten, daß er davonspringen und gleich darauf dort stehen würde, wo der Ball herunterkommen mußte, ehe sein betagter Gegner seine knarrenden Gelenke überhaupt in Bewegung brachte. Nochipa jedoch hatte aus irgendeinem Grunde Nezahualpíli beobachtet, und ihr begeisterter Aufschrei war es, welcher alle anderen aufspringen ließ. Plötzlich schrieen alle gemeinsam, wie ein Vulkan, der ausgebrochen war. Der Ball sprang fröhlich durch den hoch an der Nordwand sitzenden Marmorring, schien dort gleichsam lange genug zu verweilen, um bewundert zu werden, und fiel dann auf der Nezahualpíli abgekehrten Seite herunter, welcher ihn mit dem Ellbogen dort hinaufgetrieben hatte.
Jubelnde Aufschreie unter den Höflingen und auf den Rängen, und es ging weiter und weiter. Motecuzóma stürzte hervor, um seinen Gegner zu umarmen und ihn zu beglückwünschen, und Torhüter und Betreuer quirlten aufgeregt durcheinander. Der Tlaloc-Priester kam tänzelnd und mit wallenden Gewändern auf das Spielfeld, fuchtelte mit den Armen und redete verzückt, wovon man in dem allgemeinen Aufruhr jedoch nichts hörte; offenbar verkündete er, dies sei ein glückverheißendes Zeichen von Tlaloc. Die jubelnden Zuschauer sprangen auf ihren Plätzen auf und ab. Das vielstimmige »Ayyo!« schwoll zu einem ohrenbetäubenden Getöse an, als die Menge auf dem Großen Platz hinter dem Spielfeld erfuhr, was geschehen war. Ihr werdet inzwischen schon gemerkt haben, ehrwürdige Patres, daß Nezahualpíli dieses zweite Spiel gewonnen hatte. Einen Ball durch diesen senkrecht sitzenden Ring oben an der Mauer zu treiben, hätte dieses Spiel auch dann für Nezahualpíli entschieden, wenn Motecuzóma ihm um viele Tore voraus gewesen wäre.
Doch müßt ihr verstehen, daß ein durch diesen Ring getriebener Ballwurf für die Zuschauer fast ein genauso großes Wunder war wie für den Mann, dem dies gelungen war. So etwas geschah so selten, ja, kam so unglaublich selten vor, daß ich euch gar nicht sagen kann, wie selten. Stellt euch vor, ihr hättet einen harten Óli-Ball, groß wie euer Kopf, und einen Steinring mit einer Öffnung, nur um ein ganz geringes größer als der Ball, einen senkrechtstehenden Ring, in doppelter Mannshöhe an der Mauer über euch angebracht. Versucht einmal, diesen Ball durch dieses Ringtor zu schießen, ohne dabei eure Hände zu benutzen, nur mit Hüften, Knien, Ellbogen oder Gesäß. Ein Mann konnte tagelang dastehen und nichts anderes tun, als es ununterbrochen und ohne sich durch irgend etwas ablenken zu lassen, immer wieder zu versuchen und doch nicht ein einziges Mal zu schaffen. Es bei den raschen Spielabläufen und der Verwirrung des echten Spiels geschafft zu haben, grenzte ans Wunderbare. Während die Menge innerhalb und außerhalb des Ballplatzes weiterhin laut Beifall klatschte, nippte Nezahualpíli an seiner Schokolade und lächelte bescheiden, während Motecuzóma ein anerkennendes Lächeln aufgesetzt hatte. Er konnte es sich leisten zu lächeln, brauchte er doch nur noch das letzte der drei Spiele zu gewinnen, um den Gesamtsieg davonzutragen; der durch das Ringtor getriebene Ball würde – wenn auch das Werk seines Gegners – dafür sorgen, daß der Tag seines Sieges für alle Zeiten unvergessen blieb, sowohl in den Annalen des Sports als auch in der Geschichte Tenochtítlans.
Und man hat ihn nicht vergessen, diesen Tag, bis heute nicht; freilich – eine freudige Erinnerung ist es nicht. Als der Tumult sich allmählich gelegt hatte, nahmen die beiden Gegner abermals Aufstellung auf dem Spielfeld; diesmal stand der Anstoß Nezahualpíli zu. Er stieß den Ball mit dem Knie steil in die Luft, sprang im selben Augenblick hinüber zu jener Stelle, wo, wie er genau wußte, dieser Ball wieder herunterkommen
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