Der Azteke
hatten nichts dawider, daß ich ihre Küste entlangzog, doch mich einladen, bei ihnen zu bleiben, taten sie auch nicht; es war ihnen einfach gleichgültig. Infolgedessen verweilte ich, als ich die Sinalobóla hinunter nach Süden zog, nicht länger in einem ihrer Dörfer als notwendig, ganz im Vertrauen auf die Versicherung des alten Häuptlings Saft, daß Aztlan irgendwo an dieser »Küste des großen Meeres« liegen müsse.
Den größten Teil des Wegs über hielt ich mich an die flachen Küstengebiete selbst, so daß ich das Große Meer stets zu meiner Rechten hatte. Manchmal mußte ich zurück ins Landesinnere, um ausgedehnte Lagunen oder Moräste oder ein undurchdringliches Gewirr von Mangrovenwäldern zu umrunden, und gelegentlich mußte ich auch am Ufer eines Flusses warten, in dem es von Alligatoren wimmelte, bis ein Kaita mit seinem Boot kam und mich widerstrebend ans andere Ufer brachte. Im allgemeinen kam ich jedoch rasch voran, ohne daß ich irgend etwas Besonderes erlebt hätte. Eine kühle Brise vom Meer machte die Hitze tagsüber erträglich, und nach Sonnenuntergang bewahrte der Sand des Strandes diese Hitze, welche er tagsüber aufgesogen hatte, so daß es sehr angenehm war, dort zu schlafen. Während dieser Zeit ernährte ich mich von den gleichen merkwürdigen trommelnden Krebsen, welche mich so in Schrecken versetzt hatten, als ich ihnen vor Jahren das erstmal begegnet war. Auch sammelte ich zweischalige Muscheln – Venusmuscheln nennt ihr sie –, die ich im Sand vergrub und darüber ein Feuer von den heißbrennenden Palmwedeln machte, sodaß ihr Fleisch gleichsam im eigenen Saft garte.
Als ich die endlose Küste weiter hinunterzog, legten die Gezeiten nicht mehr glatte und zugängliche Teile des Meeresbodens frei, auf dem ich herumspazieren und Muscheln suchen konnte. Bei den Gezeiten hob und senkte sich einfach der Pegelstand des Wassers, welches in den endlosen Küstensümpfen stand, die sich mir in den Weg stellten. Diese Sümpfe waren Dickichte von fast dschungelartigem Unterholz zwischen moosbehangenen Mangroven, die sich hochnäsig über ihren verzweigten, freistehenden Wurzeln erhoben. Bei Niedrigwasser war der Sumpfboden ein aus Schlick und brackigen Wasserlachen bestehender Morast. Bei Hochwasser hingegen war er von ausgedehnten, trüben Salzwasserflächen bedeckt. Immer und zu jeder Zeit jedoch war der Sumpf heiß, feucht, übelriechend und von blutgierigen Moskitos verpestet. Ich bemühte mich weiter nach Osten zu gehen und einen Weg um die Sümpfe herum zu finden, doch schienen diese Sümpfe sich bis an die Bergketten zu erstrecken. Infolgedessen bahnte ich mir so gut es ging den Weg durch sie hindurch, sprang – wo immer das möglich war – von einem trockeneren Erdbuckel zum anderen und watete ansonsten niedergeschlagen und mühselig durch die stinkende Brühe und den Schlamm.
Ich weiß heute nicht mehr, wie viele Tage ich mich durch dieses häßlichste, widerwärtigste und unangenehmste Stück Land schleppte, welches ich je kennengelernt hatte. Ich lebte hauptsächlich von Palmsprossen, Mexixin-Kresse und anderen Pflanzen, die ich als eßbar erkannte. Schlafen tat ich des Nachts in der Astgabelung eines Baums, hoch genug, um vor vorüberziehenden Alligatoren und den tückischen Nachtnebeln sicher zu sein. Diese Astgabeln polsterte ich mit soviel grauem Paxtli-Moos aus, wie ich finden konnte, und zwängte mich dann hinein. Es überraschte mich keineswegs, daß ich keiner anderen Menschenseele begegnete, denn nur die unempfindlichsten und schwerfälligsten Menschen hätten in dieser ebenso unwirtlichen wie ungesunden Wildnis leben können. Ich hatte keine Ahnung, welchem Volk dieses Gebiet gehörte oder ob überhaupt jemals jemand Anspruch darauf erhoben hatte. Ich wußte, daß ich inzwischen die Gebiete der Sinalobóla und Kaita hinter mir gelassen hatte und vermutete, daß ich mich dem Lande Nauyar Ixú näherte, doch konnte ich dessen nicht sicher sein, ehe ich nicht wenigstens einen Menschen ein paar Worte in ihrer Sprache hatte sprechen hören.
Und dann, eines Nachmittags, stieß ich mitten in diesem elenden Sumpf doch auf einen anderen Menschen. Ein nur mit einem Schamtuch bekleideter junger Mann stand neben einem verschlammten trüben Wassertümpel, spähte angespannt hinein und hielt einen rohen, am Ende mit drei Zacken aus spitzen Knochen bewehrten Speer wurfbereit erhoben. Ich war dermaßen überrascht, überhaupt jemanden zu sehen, daß ich etwas Unverzeihliches
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