Der Azteke
tat. Ich rief ihm laut einen Gruß zu – im selben Augenblick trieb er den Speer ins Wasser hinein. Er riß den Kopf hoch, funkelte mich an und erklärte knurrend:
»Jetzt habe ich ihn deinetwegen verfehlt.«
Ich stand da wie vom Donner gerührt – nicht seiner barschen Worte wegen, denn immerhin hatte er ja allen Grund, böse auf mich zu sein, da er meinetwegen sein Ziel verfehlt hatte –, sondern weil er nicht, wie ich erwartet hatte, in irgendeinem Pore-Dialekt geantwortet hatte.
»Tut mir leid«, rief ich weniger laut. Er wandte den Blick jedoch nun wieder dem Wasser zu, riß seinen Speer aus dem Schlick heraus, während ich mich ihm leise und unaufdringlich näherte. Als ich neben ihn trat, ließ er den Speer abermals herniederfahren und holte einen Frosch heraus, welcher sich zappelnd auf einem der Zinken aufgespießt hatte.
»Du sprichst Náhuatl«, sagte ich. Er grunzte und ließ den Frosch auf einen Haufen anderer fallen, welche in einem schiefen, aus Schlingpflanzen geflochtenen Korb lagen. Selbstverständlich fragte ich mich, ob ich wohl auf einen Abkommen jener zuhausegebliebenen Ahnen des alten Häuptlings Saft gestoßen war und fragte: »Bist du ein Chichimécatl?« Selbstverständlich hätte es mich überrascht, wenn er ja gesagt hätte, doch was er sagte, warf mich noch mehr um:
»Ich bin ein Aztécatl.« Abermals beugte er sich über den trüben Tümpel, hob wurfbereit den Speer und fügte noch hinzu: »Und ich habe zu tun.«
»Und du hast eine außerordentlich unhöfliche Art, Fremde zu begrüßen«, sagte ich. Seine Schroffheit ließ einfach nicht das überwältigende Gefühl von Verblüffung in mir aufkommen, welches mich sonst zweifellos befallen haben würde, angesichts der Tatsache, einem offensichtlich lebendigen und atmenden Überbleibsel der Azteca gegen über zustehen.
»Höflichkeit wäre reine Verschwendung gegenüber einem Fremden, der den Wahnsinn besitzt hierherzukommen«, knurrte er und blickte mich nicht einmal an. Das Wasser wurde aufgerührt, als er noch einen Frosch aufspießte. »Wer außer einem Narren würde schon auf den Gedanken verfallen, dieses stinkende Sumpfloch zu besuchen.«
Woraufhin ich mich nicht enthalten konnte zu sagen: »Und ein Narr, der immer hier lebt, hat wenig Anlaß, jemanden zu beleidigen, der nur zu Besuch herkommt.«
»Du hast recht«, sagte er ungerührt und ließ den Frosch in seinen Korb fallen. »Warum stehst du da und läßt dich von einem anderen Narren beleidigen? Geh schon weiter!«
Mit zusammengebissenen Zähnen sagte ich: »Zwei Jahre lang habe ich Tausende und Abertausende von Ein Langer Lauf zurückgelegt auf der Suche nach einem Ort namens Aztlan. Vielleicht kannst du mir sagen …«
»Dann hast du ihn jetzt gefunden«, unterbrach er mich mit einer Stimme, die gleichmütiger nicht hätte sein können.
»Hier?« entfuhr es mir völlig überwältigt.
»Gleich dahinten«, knurrte er, zeigte mit dem Daumen über die Schulter und machte sich noch nicht einmal die Mühe, seine Augen von dem stinkenden Froschteich zu erheben.
»Folge nur dem Pfad bis zur Lagune und ruf nach einem Boot, daß man dich hinüberbringt.«
Ich wandte mich von ihm ab und sah um mich, und in der Tat: da war ein Pfad, welcher durch das wuchernde Unterholz führte, und ich schickte mich an, ihm zu folgen, und wagte es kaum zu glauben, daß …
Doch dann fiel mir ein, daß ich dem jungen Mann gar nicht gedankt hatte. Abermals machte ich kehrt, ging wieder zu ihm, der mit erhobenem Speer wurfbereit dastand. »Vielen Dank«, sagte ich und versetzte ihm einen Tritt in die Kniekehlen, daß er aufspritzend in das übelriechende Wasser hineinfiel. Als sein Kopf von schlüpfrigen Schlingpflanzen bedeckt wieder zum Vorschein kam, warf ich den Korb mit den toten Fröschen auf ihn. Prustend und spritzend und nach einem Halt am schlüpfrigen Ufer suchend, ließ ich ihn zurück und ging den Pfad hinunter auf den Ort der Schneereiher zu, das lang verlorene, legendäre Aztlan.
Ich weiß nicht, was ich eigentlich vorzufinden erwartete. Vielleicht ein frühes, nicht ganz so ausgedehntes Tenochtítlan? Eine Stadt der Pyramiden, Tempel und Türme, nur nicht ganz so modern? Ich weiß es wirklich nicht. Was ich jedoch vorfand, war jämmerlich.
Ich folgte dem trockenen Pfad, welcher sich durch den Sumpf schlängelte, und der Baumwuchs um mich herum wurde immer lichter, der Schlamm links und rechts von mir immer feuchter und wässriger. Zuletzt wichen die Mangroven mit ihren
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