Der Azteke
Männer ihnen Unglück bringen, würde mir das nichts weiter ausmachen.« Jetzt betrachtete er mich mit größerer Freundlichkeit. »Aber Ihr seid ganz bis hierher geschickt worden, Ritter Ek Mu-yal, um mit diesen Fremden zu sprechen. Was wird Motecuzóma sagen, wenn Ihr mit leeren Händen heimkehrt?«
»Ganz mit leeren Händen nun doch nicht«, sagte ich. »Ich werde zumindest das Kästchen mit der Götternahrung und die kleinen blauen Gebete mit zurückbringen. Und außerdem habe ich viel erfahren, was ich Motecuzóma berichten kann.«
Plötzlich kam mir ein Einfall. »Ach ja, Herr Mutter – und da wäre noch etwas, was ich ihm zeigen könnte. Falls eine von euren Frauen, die den weißen Männern beigewohnt haben, schwanger geworden ist und nicht den Blattern zum Opfer fällt – nun, falls das Kind geboren werden sollte, schickt das nach Tenochtítlan. Der Verehrte Sprecher kann es im Tierhaus der Stadt ausstellen. Sie müßten Ungeheuer ganz besonderer Art unter anderen Ungeheuern sein.«
Die Nachricht von meiner Rückkehr nach Tenochtítlan muß mir um mehrere Tage vorausgeeilt sein und Motecuzóma muß vor Ungeduld gekocht haben zu erfahren, welche Nachrichten – oder Besucher – ich wohl heimbringen mochte. Aber er war ganz derselbe alte Motecuzóma, und ich wurde nicht sofort bei ihm vorgelassen. Ich mußte auf dem Korridor draußen vor seinem Thronsaal warten, zunächst mein Prachtgewand aus- und das vorgeschriebene Sackgewand des Bittstellers anziehen und dann das vorgeschriebene kriecherische Ritual des Erdeküssens von der Tür bis zu der Stelle vollführen, wo er zwischen dem goldenen und dem silbernen Gong saß. Trotz der Kühle und Gelassenheit, mit welcher er mich empfing, war ihm offensichtlich daran gelegen, daß er meinen Bericht als erster zu hören bekam – vielleicht sogar als einziger –, denn Mitglieder seines Staatsrates waren diesmal nicht anwesend. Er gestattete mir, die Förmlichkeit, nur dann zu sprechen, wenn ich gefragt wurde, beiseite zu lassen, und so berichtete ich ihm alles, was ich auch euch berichtet habe, ehrwürdige Patres, nebst ein paar Dingen, welche ich von euren Landsleuten erfahren hatte.
»Wenn mir in meiner Rechnung kein Fehler unterlaufen ist, Verehrter Sprecher, müssen es etwa zwanzig Jahre her sein, daß die ersten ›Schiffe‹ genannten Schwimmenden Häuser aus jenem fernen Land Spanien ausgelaufen sind, um die westlich davon liegenden Meere zu erforschen. Unsere Gestade erreichten sie nur deshalb nicht, weil offenbar eine große Anzahl von größeren und kleineren Inseln zwischen uns und Spanien liegen. Auf diesen Inseln müssen bereits Menschen gelebt haben, und nach den Beschreibungen zu urteilen, müssen es so etwas wie die barbarischen Chichiméca in unseren nördlichen Landen gewesen sein. Einige von diesen Insulanern kämpften, um die weißen Männer zurückzujagen, manche gestatteten ihnen kleinmütig, sich auf ihren Inseln niederzulassen, doch inzwischen sind sie alle zu Untertanen dieser Spanier und ihres Königs gemacht worden. Im Laufe der letzten zwanzig Jahre sind die weißen Männer also damit beschäftigt gewesen, diese Inseln zu besiedeln, sie in bezug auf Bodenschätze und Erzeugnisse auszubeuten und zwischen diesen Inseln und dem spanischen Mutterland Handel zu treiben. Nur einige wenige von ihren Schiffen haben auf der Fahrt zwischen den Inseln oder auf Forschungsreisen oder wenn der Wind sie abgetrieben hatte unsere Lande erst flüchtig gesehen. Wir dürfen hoffen, daß diese Inseln die weißen Männer noch auf Jahre hinaus beschäftigt halten, doch bitte ich, in dieser Beziehung Zweifel anmelden zu dürfen. Auch die größte dieser Inseln ist nur eine Insel, die Reichtümer, deren sich die weißen Männer bemächtigen können, und auch das Land zur Besiedelung ist daher nur begrenzt. Auch scheinen diese Spanier unersättlich sowohl was ihre Neugier als auch ihre Habgier betrifft. Sie sind bereits jetzt dabei, jenseits dieser Inseln neue Entdeckungen zu machen und neue Gelegenheiten zu erkunden. Früher oder später wird ihre Suche sie in unsere Lande bringen. Es wird sein, wie der Verehrte Sprecher Nezahualpíli es vorausgesagt hat: eine Landung, auf die wir vorbereitet sein müssen.«
»Vorbereitet!« schnarrte Motecuzóma. Vermutlich versetzte es ihm einen Stich, daß Nezahualpíli diese Prophezeiung dadurch hatte stützen können, daß er das Tlachtli-Spiel gewonnen hatte. »Dieser alte Narr bereitet sich dadurch vor, daß er sich
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