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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Verständnis der spanischen Sprache und verbesserte mein Sprechvermögen. Gleichwohl bemühte ich mich, daß keiner von den Soldaten mich hörte, wenn ich ihre Wörter und Sätze leise vor mich hinsprach.
    Um mich weiterhin davor zu schützen, als Schwindler entlarvt zu werden, sprach ich mit den Totonáca auch nicht. Deshalb konnte ich auch niemand bitten, mir etwas Merkwürdiges zu erklären, welches ich immer wieder sah und was mich ganz verwirrte. An der Küste und insbesondere in der Hauptstadt Tzempoálan standen zahlreiche Pyramiden zu Ehren von Tezcatlipóca und anderen Göttern. Es gibt dort sogar eine Pyramide, welche nicht quadratisch ist, sondern ein Kegelstumpf aus sich immer mehr verjüngenden runden Scheiben. Diese Pyramide ist dem Gott Ehécatl geweiht und war so gebaut, daß der Wind ungehindert um sie herum streichen konnte, ohne durch irgendwelche Kanten und Ecken behindert zu werden.
    Auf jeder Pyramide der Totonáca steht ein Tempel, doch all diese Tempel hatte man erschreckend verändert. In keinem einzigen davon stand mehr ein Standbild von Tezcatlipóca, Ehécatl oder irgendeinem anderen Gott. Einer wie der andere waren sie von dem verkrusteten Blut in ihrem Inneren befreit, sauber geschrubbt und dann mit weißer Kalktünche gestrichen worden. Vielmehr stand jetzt in jeder ein nacktes Holzkreuz und die einzelne kleine, gleichfalls aus Holz bestehende, recht roh geschnitzte Figur, die einer jungen Frau, welche die Hand offenbar mahnend in die Höhe hob. Das Haar war einfach schwarz angemalt, ihr Gewand blau, desgleichen die Augen und Haut rosig-weiß wie die der Spanier. Das Sonderbarste daran war, daß diese Frau eine vergoldete runde Krone trug, welche viel zu groß für sie war, so groß, daß sie nirgends auf ihrem Haupt ruhte, sondern hinten an ihrem Haar befestigt war.
    Für mich war es klar, daß die Spanier, wiewohl sie keinen Kampf gesucht oder provoziert, die Totonáca bedroht, eingeschüchtert oder verängstigt hatten; sonst hätten diese niemals eingewilligt, all ihre mächtigen und alten Götter durch die blasse und sanfte weibliche Gestalt zu ersetzen. Ich vermutete zwar, daß es sich bei der Göttin um die Heilige Jungfrau handeln müsse, von der ich bereits gehört hatte, doch konnte ich nicht erkennen, was die Totonáca veranlassen sollte, sie als in irgendeiner Weise den alten Göttern überlegen zu akzeptieren. Ehrlich gesagt, konnte ich bei dem faden Aussehen, das sie hatte, nicht verstehen, warum selbst die Spanier in der Heiligen Jungfrau irgendwelche göttlichen Attribute sahen, um deretwillen sie sie verehrten.
    Doch dann brachten meine Streifzüge mich eines Tages in eine grasbewachsene Mulde, ein wenig weiter im Inland, in welcher viele Totonáca versammelt waren, die mit dem Anschein aufmerksam lauschenden Nichtverstehens zuhörten, wie ihnen von einem der spanischen Priester, welche mit den Soldaten gekommen waren, mit schwülstigen Worten eine Ansprache gehalten wurde. Diese Priester, das sollte ich vielleicht noch erwähnen, machten nicht einen so fremden und unnatürlichen Eindruck wie die Soldaten. Nur ihre Haartracht unterschied sie von den unseren; sonst glichen sie in ihren schwarzen Gewändern diesen sehr und sie rochen auch so. Derjenige, welcher auf die Versammelten einredete, tat selbiges mit Hilfe der beiden Dolmetsche Aguilar und Ce-Malinali, welche er sich offenbar auslieh, sobald sie nicht von Cortés gebraucht wurden. Die Totonáca schienen stumpf zuzuhören; dabei wußte ich, daß sie keine zwei von zehn Worten begriffen, welche Ce-Malinali ins Náhuatl dolmetschte.
    Neben vielen anderen Dingen erklärte der Priester, Unsere Liebe Frau sei nicht eigentlich eine Göttin, sondern vielmehr eine Menschenfrau, genannt Jungfrau Maria, welche irgendwie Jungfrau geblieben war, wiewohl sie sich mit dem Heiligen Geist des Herrgotts gepaart hatte, der nun wirklich ein Gott war, und dadurch den Herrn Jesus Christus geboren hatte, welcher der Sohn Gottes sei und auf diese Weise in menschlicher Gestalt unter den Menschen habe wandeln können. Nun, all das war nicht allzu schwer zu begreifen. In unserer eigenen Religion gab es viele Götter, welche sich mit Menschenfrauen gepaart hatten, und viele Göttinnen, welche in überreichem Maße sowohl Göttern als auch Menschenmännern beigewohnt – und woraus viele Götterkinder entstanden waren – und denen es gelungen war, ihren Ruf als Jungfrau zu bewahren und auch so genannt zu werden.
    Bitte, Euer Exzellenz, ich

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